Full text: Lehrbuch der Photographie

542 Grosse Köpfe, abgetonte Bilder. 
denen man mehr oder weniger Brust sichtbar werden liess. Bald 
aber steigerte man diese Kopfgrösse auf Dimensionen von 1*/2 bis 
2: Zoll. 
Es ist zweifellos, dass die ungewöhnliche Kopfgrösse einen 
Reichthum der Details, Spangen, Ketten, Chignon, Locken und Löck- 
chen hervortreten lässt. Aber andererseits ist damit die Gefahr ver- 
knüpft, dass manche unerwünschte Details, Sommerflecken, Falten ete. 
in unangenehmer Weise im Bilde sichtbar werden und eine Negativ- 
retouche benöthigen, die sich oft nicht bezahlt macht. Kleinere 
Köpfe machen daher weniger Arbeit. Die Damen der Bühne haben 
hier kosmetische Mittel, um solche Fehler zu verdecken und sie 
sind eigentlich als die Erfinderinnen einer dritten Art von Re- 
touche zu nennen, die man, als Gegensatz zu der Positivretouche 
und Negativretouche, nach unserm Vorgange Originalretouche 
nennt, indem sie mit Schminke, poudre de riz etc. an der Person 
selbst vollzogen wird und die ‚jetzt in verschiedenen Ateliers (nicht 
blos bei Damen der Bühne) mit sehr gutem Erfolg angewendet wird. 
Höchst wichtig ist nun bei diesen grossen Köpfen eine sorg- 
fältige Beachtung der Beleuchtung. Die zweckmässigste bleibt 
die, wo das Licht als vorderes seitliches Oberlicht unter einem 
Winkel von 45° auffällt, so dass also das Hauptlicht-auf der einen 
Schläfe der Hauptschatten unter dem Kinnbacken der andern Seite 
ruht (s. die Tafel). 
Noch ein Moment kommt hier in Betracht, d.i. die Linse, mit 
welcher das Bild aufgenommen werden soll. Dicke Gesichter wer- 
den etwas schlanker, wenn man Linsen mit kurzer Brennweite nimmt 
und die Camera etwas schief stellt. Schlanke Gesichter. werden 
breiter, wenn sie mit Linsen von langer Brennweite aufgenommen 
werden und ihr Bild in die Mitte der matten Scheibe fällt. Man 
kann aber auch die ungleiche Ausdehnung des Papiers benutzen, um 
Gesichter schlanker oder breiter zu machen (s. p. 358). 
Am bequemsten für den gewöhnlichen Photographen bleiben 
zweifelsohne die ‘Brustbilder ohne Hintergrund, sogenannte 
abgetonte Bilder oder Vignetten *). Beine fallen hier weg, meisten- 
theils auch die Hände. Er hat also mit der Lage dieser Extremitäten 
keine Noth. Er achte auf Kopf und Brust (gleiche Schulterhöhe), 
Arme, pyramidale Anordnung, Silhouette, Linien. Die Figur selbst 
wird gewöhnlich sitzend aufgenommen, sie hält dann eher still als 
die leicht. schwankenden, stehenden Figuren. Seit einiger Zeit hat 
*) Es ist eigenthümlich, dass der schreiend weisse Hintergrund in 
abgetonten Bildern nicht unangenehm empfunden wird, während man sich 
sonst über jedes weisse Glan zlichtfleckchen entsetzt, welches in Bildern 
mit vollem Hintergrunde zu finden ist. Dieser Umstand kann nur dahin 
erklärt werden, dass der weisse Hintergrund in abgetonten Bildern von 
unserem ästhetischen Urtheil nicht mehr als zum Bilde gehörig betrachtet 
wird, Er erscheint uns als ein Stück der weissen Papierunterlage, nicht 
als ein organischer Theil des Bildes, Ganz anders bei Voll-Hintergründen, 
die Zeichnung haben und ganz ausdrücklich prätendiren, zum Bilde zu ge- 
we und die dann freilich als Bildbestandtheil empfunden und beurtheilt 
werden.
	        
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