Perspectivische Anomalien. 125
Die Sache wird vielleicht noch verständlicher dadurch werden,
wenn man sich die Linse in Fig. 43a in ihrem optischen Mittelpunkt
in zwei Theile durchschnitten denkt. Berühren sich diese beiden
Theile, so hat die Linse nur einen optischen Mittelpunkt und man
hat „monoculare Stereoskopie“. Zieht män aber beide Linsenhälften
auseinander, wie Fig. 43 b zeigt, so hat man von dem Moment an, dass
beide Linsenhälften nicht mehr demselben Rotationskörper ange-
hören, „binoculare Stereoskopie“, d. h. man kann dann nicht allein
„hintenherumsehen“, sondern vermag dieses mit Hülfe zweier von
Fig. 43a. 48h
einander perspectivisch verschiedener Ansichten desselben Objectes.
Als Beispiel der Anwendung dieses Principes mag das „Heliometer“
mit zerschnittenem Objectiv dienen, obgleich es sich bei demselben
garnichtum ein Hintenherumsehen eines Gegenstandes handelt,
weil die Gegenstände fast unendlich weit von demselben liegen, aber
durch die Verdoppelung seines optischen Centrums dient es als Doppel-
bildmessapparat. Will man also stereoskopische Aufnahmen
machen, welche naturgetreu sein sollen, so darf man nicht aus den
Augen lassen, dass der optische Apparat zur stereoskopischen Auf-
nahme zweier Photographien den Kopf eines idealen Geschöpfes (meist
Riesen) darstellt, dessen Augenweite durch die Distance der beiden
optischen Mittelpunkte der beiden Linsensysteme gegeben ist. Dass
diese beiden Linsensysteme. gleiche Aequivalentbrennweiten erfordern,
da sich im Stereoskop nachher zwei ungleichgrosse Bilder nicht
zur Deckung‘ bringen lassen und dass man der Camera keine unnatür-
liche Lage gegen das Object geben darf, z. B. keine Froschperspective
für einen Gegenstand gewöhnlicher Grösse, während die ideale Augen-
distance die menschliche Augenweite vielleicht weit übertrifft oder
ähnliches. Ferner darf man nicht vergessen, dass der Beschauer der
Photographien unwillkürlich seine eigene Augenweite als Maassstab
benutzt! Z. B. erscheinen die schönen Aufnahmen des Mondes von
GT