Full text: Die Kunst überhaupt und ihre Theilung in Künste (3. Theil, 1. Abschnitt)

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des Styls erset; der Lithograph und Kupfersiecher sucht dem Ffarblösen 
Schwarz dur< die Behandlung einen Anklang von Farbe 'abzugewinnenz 
die Musik hat scheinbar arme Instrumente durc< Erfindungen zu den 
seelenvollsten Tönen befähigt und die Poesie das Vehikel einer tonlosen 
und harten Sprache (namentlich Shakespeare das Englische) mit Feuer- 
athem in Fluß gebracht, so daß ihm eine Kraft entstieg, worin ihm schönere 
Sprachen nicht folgen können. Zu dem Materiale müßen wir auch weitere 
Bedingungen, Ort, Ausstellung , Licht, Zeitmoment u. s. w. ziehen und 
auf die tausend Fälle hinweisen, wo Zwang dieser Bedingungen für geist- 
volle Künstler vielmehr ein Hebel der fruchtbarsten Gedanken, ganzer 
Compositions -Reihen und Cyclen, und der anziehendsten Behandlung 
geworden sind. 
2. Dieß Alles erspart dem Künstler den Kampf mit den Schwierig- 
feiten des Materials nicht; „des Fleißes Nerv muß sich spannen, nur 
beharrlich ringend unterwirft der Gedanke sich das Element, nur des 
Meisels schwerem Schlag erweichet sich des Marmors syrödes Korn,“ 
Auch die Lieblingsfinder des Dichters sind „Schmerzenskinder“ (Göthe 
von seiner Iphigenie) und es ist nur -die Palme des Ringens, daß man 
dem fertigen Werke den Schweiß nicht mehr ansieht, Nur die saure 
Arbeit des Lernens schafft das Band zwischen der s<hwunglosen Fertigkeit, 
die das Handwerk verleiht, der leeyen Regel, die durch das Spiel 
befestigt wird, der kalten Einsicht, welche die Wissenschaft gibt, und 
zwischen der innerlich schaffenden Phantasie: die beseelte Technik, die 
Kunsttechnik, 
6. 519, 
| Es gibt allerdings eine Kunst mit dem denkbar geringsten Maaße von 
technischer Bildung, jedoch nur in Gebieten, wo das Material von einer Uach- 
giebigkeit ist, die einen unmittelbaren Nebergang des Innern in das Aeußere 
erlaubt, Dieß ist die Kunst vor der Kunst, die naive Kunst: die einzige 
Stufe, wohin die allgemeine Phantasie der besondern im künstlerischen Schaffen 
folgt. Mehr ein Gemeinproduct des Volks, als ein Werk des Einzelnen, ist 
sie nach Inhalt tief, voll, innig, nach Form entweder kurz und einfach oder 
lückenhaft in der Composition, gedrängt, knapp, incorrect in der Ausfäöhrung, 
aber dur die Frische ihrer Unmittelbarkeit eine Verjüngungsquelle für die 
2 Kunst einer ausgetrockneten Bildung. Dagegen folgt derU aturalist mitten in einer 
shon gebildeten Kunstwelt dem bloßen Instincte, de ssen Führung eine zufällige 
ist und dessen ursprüngliche Frische sich bei mangelnder Schule in angewöhnten 
Formen verhartet,
	        
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