Full text: Die Kunst überhaupt und ihre Theilung in Künste (3. Theil, 1. Abschnitt)

lien Leitung, aber gefährlich durch deren Einseitigkeit; do< der Drang des 
Genius in dem begabten Schüler wirft diese Fessel ab: er vergleicht, wandert, 
sucht vorgerücktere Meister auf und wird selbst schöpferischer Meister , der die 
Kunst durch einen neuen Aufschwung vorwärts führt. 
Das Lehrlings = und Gesellen - Verhältniß, von welchem zu dem 
vorh. 8. die Rede gewesen ist, war im classischen Alterthum und Mittel- 
alter ganz dasselbe wie im Handwerk. Der älteste Shooß der Fortpflanzung 
technischer Uebung ist die Familie, der Bater lehrt den Sohn oder die 
Söhne und diese pflanzen das Erlernte in weitere Zweige ver Familie und 
an die Enkel fort. Diese Form erhält sich auch neben entwicelteren 
Zuständen, man denke 3, B. an P. Vischer und seine Söhne, Das 
Verhältniß zwischen dem Meister und den aus fremdem Hause um ihn 
sich sammelnden Schülern, das sodann an die Stelle der Familientradition 
tritt, stellt nur eine patriarc<halische Erweiterung der Familie dar, die 
Lehrlinge und Gesellen leben in der Negel im Hause des Meisters und 
sind seiner Zucht wie Kinder des Hauses untergeben. Diese so erweiterten 
Familien sind im Mittelalter dur< das über die bildenden Künste aus- 
gedehnte Zunftwesen zu einem größeren Ganzen zusammengeschlossen, dessen 
Satzungen den Uebergang vom Lehrling zum Gesellen, von diesem zum 
Meister an strenge Bedingungen knüpfen und neben der Reglung der 
Stufen der Technik zugleich die ganze gesellige Stellung der Glieder ordnen 
und die sittliche Aufführung unter die Aufsicht der Zunft stellen. Am weitesten 
war dieß in der Maurerzunft ausgebildet, deren locale, durch die großen 
Bauten vereinigte Innungen (die Bauhütten) sich über ganze Länder 
miteinander verbanden, eigene Gerichtsbarkeit hatten und den ausgespro- i 
<hensten Corpsgeist entwickelten, Das Selbstbewußtsein des Künstlers, das 1 
jezt in subjectiver Vereinzelung leicht erkrankt, hatte dur dieses Zunftleben , 
seine gesunde Wurzel in dem Ehrgefühle der Genossenschaftz die strenge und 
lange Schult begründete Sicherheit und Gediegenheit in den handwerks- i 
mäßigen Grundlagen der Kunst, die Vertraulichkeit ihrer Form bedingte ; 
ein warmes Einleben in den Styl des Meisters, fesselte aber allerdings 
den Schüler zu eng an Einen Meister; er verfestigte sich so in dessen 1 
Kunstform, daß sie seine zweite Natur wurde. Daher die Erscheinung ' 
einer Menge von Sculbildern, welche nur der gründlichere Kenner nicht 
mit Werken des Meisters verwechselt: eine Uniformität, welche in der 
neueren Zeit so nicht möglich ist; Giotto's Styl konnte nur durch jene 
Erziehungsweise der Künstler ein Jahrhundert lang in Italien herrschen. 
Zum Gesellen- Leben gehört nun aber auch das Wandern und dieß war 
das Gegenmittel gegen die Uebermacht der häuslich beschränkten Einflüsse 
Eines Meisters. In dem begabten Schüler, der selbst die Bestimmung 
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