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dem stehenden Lächeln der Gesichter sich ausspricht, durchaus der Charakter
der Krast in überstarken, gewaltsam bewegten Formen hervor 3 ein harter
und eckiger Umriß, der in diesem ganzen Style herrscht, ist der augen-
fällige Ausdruck einer Verschmähung der Grazie. =- Es folgt der so-
genannte hohe Styl, vor Allen durch Phidias vertreten. Es ist der Styl
des Ideals in näherer historischer Bestimmtheit. Das subjective Kunstleben
hat sich mit dem objectiven Momente zum Gleichgewichte durchdrungen:
der Künstier gießt dem Gegenstande das ganze warme Leben der eigenen,
aber von dem weiten und mächtigen Gehalte der Idee erfüllten Brust
ein, verleiht ihrer Gestalt die ganze Wärme und freie Zu“älligkeit der
Natur, ohne je die zarte Linie zu überschreiten, die zur gemeinen Natur
führt, gibt durch vollendete Herrschaft über das Material, die sich namentlich
in dem schwungvollen Fluß der Umrisse ausspricht, dem innern Bilde die
reine Erscheinung, und diese zeigt mild und freundlich und doh bedürfniß-
los selig und erhaben in sich vem Zuschauer, daß er seine ganze edlere
Menschheit in ihr wiederfindet, in ihr bei sich ist. Winkelmann hat diesen
Styl als den der erhabenen Grazie bezeichnet und leitet seine Unter-
scheidung einer doppelten Grazie mit den Worten ein: „wenn der Grundsaß
des hohen Styls gewesen ist, das Gesicht und den Stand der Götter und
Helden rein yon Empfindlichkeit und entfernt von inneren Empörungen,
in einem Gleichgewichte des Gefühls und mit einer friedlichen immer
gleihen Seele vorzustellen, so war eine gewisse Grazie nicht gesucht,
auch nicht anzubringen, und nun nennt er zuerst jene erhabene Grazie,
die „von höherer Geburt wie die himmlische Venus, von der Harmonie
gebildet, beständig und unveränderlich ist, wie die ewigen Gesetze von dieserz
eine Gesellmn der Götter ist sie sich selbst genugsam, bietet sich nicht an,
sondern will gesucht werden z mit den Weisen allein unterhält sie sich und
dem Pöbel erscheint sie störrisch und unfreundlich 3 sie verschließet in sich die
Bewegungen der Seele und nähert sich der seeligen Stille der göttlichen
Natur.“ =- Die dritte Entwicklungsform des Sty!s nun trägt den Charakter
einer volleren Ausbildung des Subjectiven, zunächst in berechtigter Weise,
dänn sichtbar an der Schwelle anlangend, jenseits welcher die Subjectivität
auf Kosten des objectiven Ernstes sich geltend macht, endlich sie überschreitend,
Der Künstler, in eine aufgeregtere, subjectiver gebildete Welt gestellt, theilt
dem Gegenstande ein reicheres, vielseitiger entfaltetes inneres Leben mit,
er greift in der sinnlichen Darstellung tiefer in die Fülle lebendiger Reize,
welche das Naturschöne darbietet, das Material wird no< ungleich runder,
weicher, fließender, als zuvor, behandelt und dadurch die höchste Virtuosität
der Technik an den Tag gelegt, das Kunstwerk wendet sich vertrauter,
holder, entgegenfommender zu dem Zuschauer. Dieser ganze Schritt hält
sim vorerst in den Grenzen ächter Idealität, Jene zweite Grazie, welche