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sosehr über diese Sprache der im mythischen Sinne vereinfachten Motivi-
rung, indem es neben ihr die eigentliche , natürlich menschliche , vorzüglich
im Drama entwielt. Die Kunstgattungen aber bringen neue Unterschiede
mit sich: es ist klar, daß die Motivirung eine unendlich andere in den
stummen Künsten, als in den tönenden, und wieder eine andere in der Dicht-
kunst, als in der Tonkunst, sein muß, In der Dichtkunst ist es der Unterschied
des Epischen und Dramatischen, der einen tief dringenden Unterschied der
Motivirung begründet; auf diesen Unterschied ist hier noh nicht einzugehen,
aber soviel folzt unmittelbar aus unsern Sägen, daß auch die verzweigtere,
breitere, dem Aeußern mehr Raum gönnende Motivirung des Epos doh
die Handlungen ihrer Charaktere schließlih aus Einem Motiv, in vem
sich die vielen zusammenfassen, ableiten muß. Als Beispiel einer über-
fruchteten Motivirung haben wir zu 5. 495, 2. schon die dunkel verviel-
fachten Impulse von Brunhildens Haß im Nibelungenliede angeführt,
ebensy die Triebfedern von Jago's Haß in Shafespeares Othello.
Uebrigens wird natürlich auch das Drama, namentlich das historische,
vom einfachen nächsten Motiv auf eine breitere Summe von Motiven
hinausweisen. So liegt hinter dem oben erwähnten nächsten - Motiv
Richards 111, die Wildheit der allgemeinen Zustände, deren Product
er ist.
Bei diesen Bemerkungen haben wir auf die Künste, die nur im
unbestimmtesten Sinn ein Vorbild in ver Natur haben (Baukunst und
Musik), keine Rücksicht genommen. Bei ihnen kann die Frage gar nicht
entstehen, wie sich die künstlerische Motivirung zu der thatsächlichen
Motivirung des Gegenstands in der Wirklichkeit zu verhalten habe. Das
Gesetz der Motivirung besteht hier einfach für die fünstlerischen Formen,
die nun aber ebenso begründet erscheinen sollen, wie wenn sie Nachbil-
dung menschlicher Handlungen wären. Eine Last ohne Stüße, ein Glied,
das nicht aus einem andern hervorgeht, eine lebhafte Tonmasse, die aus
früheren Tongruppen nicht hervorwächst, ist wie eine Handlung ohne
Beweggrund,
3. Die so vorbereiteten und motivirten Theile des Ganzen dürfen
sich nicht zu spröder Selbständigkeit verdichten , nicht vereinzeln. Wie
im Gemälde die Wirkung der vollen Farben durch Uebergangstöne und
Helldunkel, alle Härten der einzelnen Körper durch den die Umrisse
mildernden Schleier der Luftperspective zu vermitteln sind, wie die
Plastik die Härte des Knochens, Muskels, der Sehne durch lebendige
Nachahmung des Weichen in der Fettbildung und Haut auflösen und in
Fluß bringen muß, so hat alle Kunst dafür zu sorgen, daß das Einzelne,
wie :es auseinander hervorgewachsen , so auch wieder ineinander hinüber-
wachse, : Bald wird diese Ausfüllung der Fugen mehr durch die Behand-