Full text: Die Kunst überhaupt und ihre Theilung in Künste (3. Theil, 1. Abschnitt)

Kritik, der verrenften Wissenschaft no< nicht einmal gedacht, nicht all des 
Leeren , Windigen , »Halbwahren und ganz Unwahren , was in einer Zeit 
der Vielschreiberei umherschwirrt. Kann nun ein solcher Zustand zunächst 
den Künstler nicht fördern, so hebt er auc, das Publikum unmittelbar 
nicht zum ächten Kunstverständniß. Diese Masse, die „vom Lesen der 
Journale kommt ,/“ die „an das Beste nicht gewöhnt ist, allein schrecklich 
viel gelesen hat“, die urtheilt, ehe sie genießt, ja, statt zu genießen, ist kein 
Boden für eine fröhlihe Kunstz die Unterlage des wahren Urtheils, die 
gesunde Sinnlichkeit , die Innigkeit, Frische und Schärfe der Anschauung 
ist zerfressen und wie groß der Reichthum an richtigen Sägen sein mag, 
welche die Kritik verbreitet, er vermag dieses Uebel nicht gut zu machen. 
Ein solc<es, ein so reflectirtes Publikum vermehrt aber zugleich den Wider- Oej 
willen des Künstlers gegen die Kritik. Durch diese Auffassung haben wir jedoch Ku 
feineswegs die mittelbare Förderung der Kunst durch die Kritik geläug- Th 
net. Es verhält sih mit der Kritik wie mit der Presse im Allgemeinen: De 
das Einzelne in ihrem vielstimmigen Durcheinander zersezt und zersprengt Zu 
das Ganze der Wahrheit, verwirrt, verblendet, aber durch die bewegte frei 
Masse dieses Einzelnen zieht doch, erzeugt aus der Wechsel-Ergänzung des so 
Einseitigen, zu Tage gefördert durc< Streit und Widerspruch, als Geist Vo 
des Ganzen die Wahrheit. Die Summe der Reflexionen, die sich ver- fh 
drängenden und ergänzenden Gedanken der philosophischen Aesthetik müssen 
endlich, nachdem sie die Geister durchwühlt haben, einen Niederschlag zu- 
rülassen, in wel<em das durcharbeitete Urtheil in die Unmittelbarkeit des 
richtigen Gefühls zurückfehrt. Wie überall die höchste Bildung zur Natur 
zurückgeht, so auch hier, und wenn dieser Prozeß, welchem freilich durch- 
greifende Veränderungen des ganzen Volks- und Staatslebens nachhelfen 
müssen , abgelaufen ist, wird dem Künstler ein durch die. Reflexion hin- 
durc<gegangener Kunstsinn des Publikums gegenüberstehen, der, nachdem 
der Reflexions - Inhalt zum wahren, lebendigen Eigenthum geworden ist, 
wieder mit der Sicherheit des Instincts urtheilt. Bis dahin vergesse der 
Künstler nicht, daß er selbst in einer reflectirten Zeit sih dem Sauerteige 
der Reflexion nicht entziehen kann und daß er daher in gewissem Maaße 
doch dieselbe Cur dur<machen muß, wie das Publikum: den Teufel durch 
Beelzebub austreiben, die Reflerion durch Reflexion vernichten. Es. wird 
dieß bei Wenigen so weit gehen können und dürfen, wie bei Schiller, der 
seinem fritischen und philosophischen Bedürfniß eine besondere Frist ent- 
sprechender Studien gönnte, um yon deren Höhe mit nur um so tiefer 
begründeter Ueberzeugung und verstärktem Naturdurst sich dem productiven 
Kunst-Instinct in die Arme zu werfen z es ist überhaupt ein sol<her Durch- 
gang nicht der an sich richtige Weg und wir haben vorhin, als wir vom 
Künstler im Allgemeinen sprachen, ihm nicht verwehrt, alles Kritisiren und 
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