Kritik, der verrenften Wissenschaft no< nicht einmal gedacht, nicht all des
Leeren , Windigen , »Halbwahren und ganz Unwahren , was in einer Zeit
der Vielschreiberei umherschwirrt. Kann nun ein solcher Zustand zunächst
den Künstler nicht fördern, so hebt er auc, das Publikum unmittelbar
nicht zum ächten Kunstverständniß. Diese Masse, die „vom Lesen der
Journale kommt ,/“ die „an das Beste nicht gewöhnt ist, allein schrecklich
viel gelesen hat“, die urtheilt, ehe sie genießt, ja, statt zu genießen, ist kein
Boden für eine fröhlihe Kunstz die Unterlage des wahren Urtheils, die
gesunde Sinnlichkeit , die Innigkeit, Frische und Schärfe der Anschauung
ist zerfressen und wie groß der Reichthum an richtigen Sägen sein mag,
welche die Kritik verbreitet, er vermag dieses Uebel nicht gut zu machen.
Ein solc<es, ein so reflectirtes Publikum vermehrt aber zugleich den Wider- Oej
willen des Künstlers gegen die Kritik. Durch diese Auffassung haben wir jedoch Ku
feineswegs die mittelbare Förderung der Kunst durch die Kritik geläug- Th
net. Es verhält sih mit der Kritik wie mit der Presse im Allgemeinen: De
das Einzelne in ihrem vielstimmigen Durcheinander zersezt und zersprengt Zu
das Ganze der Wahrheit, verwirrt, verblendet, aber durch die bewegte frei
Masse dieses Einzelnen zieht doch, erzeugt aus der Wechsel-Ergänzung des so
Einseitigen, zu Tage gefördert durc< Streit und Widerspruch, als Geist Vo
des Ganzen die Wahrheit. Die Summe der Reflexionen, die sich ver- fh
drängenden und ergänzenden Gedanken der philosophischen Aesthetik müssen
endlich, nachdem sie die Geister durchwühlt haben, einen Niederschlag zu-
rülassen, in wel<em das durcharbeitete Urtheil in die Unmittelbarkeit des
richtigen Gefühls zurückfehrt. Wie überall die höchste Bildung zur Natur
zurückgeht, so auch hier, und wenn dieser Prozeß, welchem freilich durch-
greifende Veränderungen des ganzen Volks- und Staatslebens nachhelfen
müssen , abgelaufen ist, wird dem Künstler ein durch die. Reflexion hin-
durc<gegangener Kunstsinn des Publikums gegenüberstehen, der, nachdem
der Reflexions - Inhalt zum wahren, lebendigen Eigenthum geworden ist,
wieder mit der Sicherheit des Instincts urtheilt. Bis dahin vergesse der
Künstler nicht, daß er selbst in einer reflectirten Zeit sih dem Sauerteige
der Reflexion nicht entziehen kann und daß er daher in gewissem Maaße
doch dieselbe Cur dur<machen muß, wie das Publikum: den Teufel durch
Beelzebub austreiben, die Reflerion durch Reflexion vernichten. Es. wird
dieß bei Wenigen so weit gehen können und dürfen, wie bei Schiller, der
seinem fritischen und philosophischen Bedürfniß eine besondere Frist ent-
sprechender Studien gönnte, um yon deren Höhe mit nur um so tiefer
begründeter Ueberzeugung und verstärktem Naturdurst sich dem productiven
Kunst-Instinct in die Arme zu werfen z es ist überhaupt ein sol<her Durch-
gang nicht der an sich richtige Weg und wir haben vorhin, als wir vom
Künstler im Allgemeinen sprachen, ihm nicht verwehrt, alles Kritisiren und
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