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jedenfalls von dem in 8, 505 vargestellten Zustande. Da ist nämlich das
ideal Schöne in seiner hohen Freiheit überhaupt dem Publikum unbekannt
und fern, der Schönheitssinn daher auch nicht in ihm entwickelt, sondern
ein conventionelles Gefühl hat sich ausgebilvet, das eigentlich auf das
Angenehme und Sciliche geht, und diesem soll die Kunst nicht etwa
beiläufig, sondern im Mittelpuncte ihres Werkes und als oberstem Gesetze
dienen. Das Wort Geschma> schon zeigt an: man legt das Werk der Kunst
prüfend , dem Weinschme>er ähnlih, auf die Zunge und urtheilt nun
so nicht über seine Idealität, seine künstlerische Composition, den reinen
Schwung seiner Formen, sondern ob es jenen conventionellen Sinn mit
feiner und süßer Oberflähe wohlthuend reize oder mit grober und harter
beleidigend abstoße3 für diese feine Zunge zu arbeiten macht sih nun
der Künstler zur Aufgabe, so daß er statt des Schönen das Delicate giebt.
Mit der Befreiung der Kunst aus der aristokratischen Ausschließli<keit und
Convenienz nahm diese Verwechslung nicht alsbald ein Ende, wie denn
noc< Kant troß seiner scharfen Unterscheiduug zwischen freier und anhän-
gender Schönheit den Sinn für jene durchgängig als Geschmasurtheil
auffaßt, Aber selbst als eine reine Kunst und ihre Erkenntniß längst be-
stand, hielt man den Begriff noch fest und zwar jetzt neben dem Begriffe
des Schönheitssinnes, so nämlich, daß man zwei Stufen unterschied, eine
instinctive und eine gebildete, und die leztere nannte man Geschmac>z so
no< Hegel (Aesth, B. 1. S. 45. Geschmac> ist gebildeter Schönheitssinn).
Nicht diese Festhaltung kann die richtige sein, denn Geshmac> muß immer
eiwas Niedrigeres bezeichnen, als das Organ der Aufnahme des Schönen
ist, und die Ausbildung macht daher den Sc<önheitssinn nicht zum Ge-
s<hma>, sondern erst wahrhaft zum Schönheitssinn, aber es muß doch
etwas in dem Begriffe liegen, was seine Beibehaltung selbst in dem rein
ästhetischen Gebiete begründet. Dieß findet denn der 8. darin, daß eben-
dasselbe, was seinem wahren Wesen nach vem Schönen angehört und nur
von dem Sinne des Schönen, d. h. der Phantasie, aufgenommen sein
will, in zweierlei Beziehungen mit einem gewissen Rechte auch unter den
Standpunct jener untetgeordneten Auffaßungsweise gezogen werden kann:
einer positiven und einer negativen. Fassen wir zuerst jene, obwohl die
negative weit die bedeutendere ist, ins Auge, so sind es offenbar nur
die äußersten Spitzen des Kunstwerks, in welchen es sich mit dem Zu-
shauer nac< der Seite des Geschma>s berührt. Es sind einzelne
Ornamente in der Architektur, Faltenlegung der Gewänder und dergl. in
der Plastik, in der Malerlei Kostüm, Farbenverhältnisse auf einzelnen
Puncten (denn die Farbenharmonie im Ganzen und Großen liegt hoch
über diesem Gebiete), Zierratben eines Musikstü>s, einzelne Bilder, Ver-
gleichungen , Wendungen in der Poesie, Nun müßen allerdings auch