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büfst sie den Inhalt als allgemeinen ein: er verwandelt sich ihr
unter den Händen in einen ganz andern, nämlich in einen mit der
Beschränktheit des verständigen Reflektirens behafteten Inhalt, und
hiemit geht sie nach dieser Seite hin über die erste Stufe wieder
zurück. Diesem Inhalt nun wieder zu seinem Recht zu verhelfen,
ist die Aufgabe der dritten Epoche, in welcher dann — obwohl
ebenfalls wieder in einem durch dieselben Momente bestimmten
Stufengange — der ursprünglich in der ersten Epoche schon ange-
deutete substanzielle Inhalt in der ihm entsprechenden systemati-
schen Form zur konkreten Wahrheit des spekulativen Gedankens
sich erhebt. *
Hiermit ist nun die Eintheilung der Geschichte der
Aesthetik — vorläufig als eine, wie bemerkt, durch die Kritik
zu bestätigende Voraussetzung!) — motivirt, und wir können daher
__ im Vertrauen darauf, dafs die Geschichtliche Genesis diese Be-
stätigung der begrifflichen, welche ja ihr wahrhafter Inhalt ist, nicht
versagen werde — die Ueberschau über dieselbe nach den drei
Abschnitten, welche oben als Perioden bezeichnet wurden, darzu-
legen versuchen.
Buch I.
Erste Periode: Geschichte der antiken Aesthetik.
8. 3. Zur Orientirung.
29. Bei der Aufsuchung der ältesten theoretischen Aussprüche,
welche irgend einen Punkt in dem Gebiet des Schönen und der
Kunst berühren, kann man sich der auffallenden Beobachtung nicht
entziehen, dafs diese Aussprüche ihrem ideellen Werth wie ihrer
begrifflichen. Tragweite nach in einem aufserordentlichen Mi(sver-
1) Wenn es hiebei scheinen möchte, dafs der Verf. ebenfalls in den oben an
Vischer getadelten Fehler verfalle, nämlich mit einer Voraussetzung zu beginnen,
80 ist dagegen zu bemerken, dafs der Fall ein ganz verschiedener ist. Vischer be-
ginnt mit einer Definition, die auf der Voraussetzung eines Begriffs beruht, der selber
eine Voraussetzung ist. In diesem Sinne wird hier keine Voraussetzung aufgestellt ;
sondern indem nur von einem allgemeinen Gesetz, nemlich dem der Entwicklung
überhaupt, eine Anwendung auf die Geschichte der Aesthetik gemacht und a priori
eine Eintheilung begründet wird, so geschieht dies nur zur vorläufigen Information über
den Gang der Geschichte. Es ist mithin nur eine auf das Vertrauen in die Allgemein-
gültigkeit jenes Gesetzes gegründete Vermuthung, dafs für jene a priori aufgestellte
Eintheilung die kritische Betrachtung den Beweis der Richtigkeit liefern werde. Meine
Darstellung bezieht sich auf ein Gegebenes, nämlich auf die in der Geschichte auf-|
tretenden ästhetische Ansichten, Vischer dagegen baut auf einer blofsen Annahme gleich-
sam in die Luft hinein, da er die Möglichkeit einer Geschichte leugnet.