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schäftigte. Es sind nun fast zwanzlg Jahre, dafs sich der Verfasser
zuerst in Leipzig durch Gründung der Allgemeinen Deutschen Kunst
zeitung, Sodann in Berlin durch Gründung der Dioskuren, aufse
mit der Philosophie überhaupt, ausschliefslich mit der praktische
unstkritik und dem Studium der Kunstgeschichte beschäftigt un
dabei erkannt hat, von welcher Wichtigkeit eine solche dauernde,
urch nichts abgelenkte Theilnahme an dem Privatleben der Kuns
und des Kunstschaffens nicht etwa nur für die intimere Kenntni(fs
der technischen Seite dieses Schaffens, sondern noch viel mehr für
die Erkenntnils und Würdigung der psychologischen Seite, nämlic
für das Studium der besonderen Weise des künstlerischen Anschau-
ens, Empfindens und Gestaltens ist. — Nun fehlt es zwar weder in
eutschland noch anderswo an Leuten, die sich ausschliefslich mit
der Kunst und mit den Künstlern beschäftigen. Aber nur wenige
ritiker besitzen, wenn auch wohl richtiges Gefühl und Sachkennt
nis, doch hinreichend philosophische Vorbildung, um ihre ästheti-
schen Ansichten zu einem in sich abgeschlossenen System der Aes-
thetik zu gestalten, und die Wenigen, welche solche Vorbildun
besitzen, sind allzusehr von den Pflichten der Tagespresse absorbirt,
um sich solchem Unternehmen mit der nöthigen Sammlung hinzu-
geben. Unsre Philosophen von Fach aber haben soviel mit der Me-
taphysik und solchen philosophischen Diseiplinen zu thun, dere
stoffliches Detail sie, ohne ihr Arbeitszimmer zu verlassen, ihrer
Bibliothek entnehmen können, dafs eine solche praktische Befassun
‚mit dem wirklichen Leben der Kunst und der Künstler in der Tha
kaum von ihnen zu verlangen ist. Daher denn auch bei diesen ge-
Tehrten Herren über nichts so wenig wirkliche Kenntni(s vorhande
ist als gerade über die Kunst und die ästhetischen Principien.
Endlich giebt es noch eine dritte Klasse von Schriftstellern, die sich
mit der Kunst allerdings sehr eingehend beschäftigen, nämlich die
Kunsthistoriker; allein von diesen ist am allerwenigsten eine philo-
sophische Betrachtung der Kunst zu erwarten, da sie meist in der
Kunstgeschichte, wie man zu sagen pflegt, den Wald_vor Bäumen
nicht sehen. .
Nur Derjenige, welcher die Entstehung eines Kunstwerks von!
der ersten rohen Skizze durch alle Stufen seiner Entwicklung bis
zur Vollendung hin zugleich als psychologischen Proze(s des
ünstlerischen Geistes selbst zu verfolgen und in dieser sei-
ner specifischen Genesis zu begreifen vermag, darf sich für befähigt
und berufen halten, eine Naturgeschichte der Kunst zu schreiben:
eine solche Naturgeschichte der Kunst aber glaubt der Verfasser al
die nothwendige Voraussetzung und wahrhafte Basis für die konkrete
Philosophie des Schönen und der Kunst in dem mannigfaltigen Or-
anismus ihrer gesammten realen Erscheinungs- und Gestaltungs-
formen betrachten zu müssen. Wenn man von Dem, was die prak
ische Kunstkritik und die Kunstgeschichte für die Aesthetik geleistet
absieht und seinen Blick auf diejenigen Arbeiten richtet, welch
auf dies Gebiet nicht blos einen gelegentlichen Abstecher machen,