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Tritt nun zur Kunstkennerschaft diese echte Liebe zur Kunst
hinzu — ähnlich wie vorhin zur Kunstliebe das Verständnifs —,
dann gewinnt der Name „Kunstkenner“ eine andere, nämlich posi-
tive Bedeutung. Solche Kenner, deren Kenntnifs auf einem wahren
und innigen Verständnifs der Kunst und ihres eigentlichen Wesens
beruht, sind aufserordentlich selten. Sie besitzen ebenfalls in ge-
wissem Grade jene Intuition des unmittelbaren Erkennens des Wesens,
jenen Instinkt des Geistes, welcher — wenn auch nach verschiede-
nen Richtungen — dem unbefangenen Laien und dem Künstler
innewohnen kann, und welcher dem wahren Kunstphilosophen im
höchsten Grade innewohnt. Ein Kenner dieser Art wird, wie der
Dichter, der Maler, der Musiker und der echte Philosoph, geboren.*)
Unterstützt durch ein vielseitiges, wenn auch meist nur in einer
Richtung sich bewegendes Studium der Meisterwerke, nicht nur nach
dem sich daran anknüpfenden Apparat von Namen, Daten, Titeln
und technischem Detail, sondern nach der Eigenartigkeit ihres künst-
lerischen Wesens im Verhältnils zur kunstgeschichtlichen Entwick-
Jung überhaupt, wird die angeborene Seherkraft des wahren Kenners
zu einer Schärfe und Klarheit des Blicks ausgebildet, welche allein
ein begründetes Anrecht auf diesen Namen gewährt. Solche Kenner
waren Winkelmann, Lessing und von Rumohr, um nur diese
zu nennen.
In diesem substanziellen Sinne gefalst, bilden nun der „Kunst-
freund“ und der „Kunstkenner“ keinen Gegensatz. mehr, sondern
dieser wird eben dadurch, dafs der wahre Kunstfreund ohne Ver-
ständnifs, der wahre Kenner ohne Liebe zur Kunst unmöglich sind,
aufgehoben und vernichtet. Der Unterschied, welcher etwa zwischen
den beiden Typen noch bestehen bleibt, beruht, als ein blos for-
maler, lediglich darin, dals der Kunstfreund den Hauptaccent auf
die Liebe zur Kunst legt, welche durch das Verständnifs geläutert
und erhöht wird, während bei dem Kunstkenner dies Verständnifs
zum wesentlichsten Zweck, d.h. zum ernsten Studium und Beruf
wird, in welchem ihn die Liebe zur Kunst stärkt und befestigt. —
Ferner aber berühren sie sich in dem einen Punkte, da{(s sich ihre
Liebe wie ihr Verständnifs selten auf das Gesammtgebiet der Kunst,
d. h. auf alle Künste gleichmäfsig richten, sondern gewöhnlich nur
*) Jener oben citirte Ausspruch Göthe’s und die daran geknüpfte Bemerkung
kann hier noch durch das Wort Fr. v. Schlegel’s vervollständigt werden, dals es
„auch eine ursprüngliche Naturgabe des echten Kenners“ gebe, „welche zwar, wenn sie
schon vorhanden, vielfach gebildet werden, wenn sie _aber mangelt, durch keine Bildung
ersetzt werden kann.“