Full text: Von Fichte bis auf die Gegenwart (1. Theil, 2. Abtheilung)

3. Als Belag des kritiklosen und im Grunde ganz unwissenschaft- 
lichen Verfahrens seitens der ästhetisirenden Schönrednerei der Kunst- 
historie mag hier unter der grofsen Menge von Beispielen nur folgende 
aus der erwähnten „Geschichte der Plastik“ von Lübke Thl. I. 8. 
herausgegriffen werden. Der Verfasser bemüht sich, die Grenzen des 
inhaltlichen Gebiets der Plastik zu bestimmen, und behauptet nun unter 
Anderem, dafs die Pflanze sich deshalb nicht als Darstellungsobjekt der 
Plastik eigne, weil sie in der Erde wurzele. Diesen ziemlich ein- 
seitigen, jedenfalls aber sehr einfachen Gedanken drückt er nun folgen- 
dermaafsen aus: „Was aus dem Kreise der Bildnerei ausgeschlossen bleibt, 
„ist die Darstellung des vegetativen Lebens. Ein Baum, ein Strauch“ 
(nicht auch eine Blume?) „greifen mit dem Geflecht ihrer Wur- 
„zelin tief in die Muttererde hinein, klammern sich wie mit 
„hundert Armen an den ernährenden Boden fest und welken 
„dahin, wenn sie ihm entrissen werden. Schon aus diese 
„Grunde kann die Bildnerei die Pflanzengestalt nicht zum Gegenstan 
„der Darstellung machen... Sie vermöchte ja doch nur ein Stück dersel- 
„ben zur Anschauung zu bringen und müfste sich eines wichtigen Theiles“ 
(nämlich der Wurzeln) „gänzlich enthalten; oder sie gäbe, wie es ihre 
„Aufgabe ist, den vollen Organismus: dann aber schwebte 
„die Pflanze mit ihrem Wurzelwerk in der Luft, fände keinen 
„Standpunkt, keinen Halt, und machte, losgelöst von der 
„Grundbedingung ihres Daseins, den traurigen Eindruck 
„einer für das Herbarium getrockneten Pflanzenleiche“. — 
Das klingt nun für den Laien sehr anmuthend, so lange er über di 
Tragweite dieser schönen Phrasen nicht nachdenkt. Thut er dies aber, 
so kommt er z. B. zu dem Schlufs, dafs mithin Züsten unplastisch wären, 
weil sie nicht „den ganzen Organismus, wie es die Aufgabe de 
Plastik ist, wiedergeben“! — Ferner könnte er fragen, wie es den 
mit den Früchten der Pflanze steht? Sollten diese nicht, da sie doch 
keine Wurzeln haben, sondern den ganzen Organismus darstellen, plas- 
isch möglich sein? Warum sind nun aber Früchte wie andere Still- 
Jlebengegenstände, als Blumen, Schweinebraten, Fische, Rosinen u. 8. W., 
zwar malerisch, aber nicht plastisch verwerthbar? Und — könnte € 
weiter fragen — wie steht es mit der Verwerthung der Pflanze für di 
ornamentale ‚Plastik, zu welcher sie bekanntlich das stärkste Kontingen 
an Motiven liefert? — Alle solche, gerade das innere Wesen der Plasti 
berührenden Fragen bleiben gänzlich unberücksichtigt. — Nact eine 
ähnlichen Erörterung über die plastische Verwerthbarkeit der Thier- 
welt, „weil sich hier jedes Einzelwesen frei vom Boden ablös’t“ — die 
Auster scheint also der Verfasser zu den Pflanzen zu rechnen? — sprich 
er es „als Gesetz“ aus, dafs „Alles, was nach eigenem Willen de 
Standort verändert, Gegenstand der Bildnerei“ sei; d. h. also: die Quint- 
essenz des Plastischen, dieser so wesentlich in sich ruhenden Kunst 
darstellung, liege darin, dafs die Gegenstände ihrer Darstellung fliegen 
schwimmen, laufen, springen können; ein sogenannter Tausendfuls, 
egenwürmer u. dergl. seien mithin plastischer als irgend eine Cactus; 
oder_Palmenart. 
4. Zu Nro. 28 (S. 50): Denn Arroganz und Ignoranz im Bunde eto. 
Aus der ziemlich zahlreichen Reihe solcher Aesthetiker mag hier 
nur einer erwähnt werden, weil er sich am meisten — namentlich durch 
seine Wandervorträge -— in den Vordergrund gestellt hat: L. Eckardt. 
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