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9. Zu Nro. 28 (S. 68): ... . zur konkreten Wahrheit des spekula-
tiven Gedankens sich erhebt.
Zimmermann, mit dem, als erstem und bis jetzt einzigem Ver-
fasser einer Geschichte der Aesthetick — denn Lotze kommt hier kaum
in Betracht, da seine Geschichte einestheils nur die deutsche Aesthetik
behandelt, anderntheils kaum auf den Titel einer, sei es kritischen sei es
pragmatischen, Geschichte, im strengeren Sinne des Worts, Anspruch
machen kann — wir uns hier neben dem trefflichen E. Müller aus-
schliefslich zu beschäftigen haben werden, hat es versäumt, nach einem
solchen Gesetz des inneren Entwicklungsganges, wie er sich in der Auf-
einanderfolge der geschichtlichen Perioden wiederspiegelt, überhaupt zu
forschen, geschweige denn es näher zu bestimmen; sondern bei ihm liegt
die Periodeneintheilung als ausdrückliches Schema lediglich in dem In-
haltsverzeichnifs ausgesprochen. Indem er sein Werk in vier Bücher
theilt, räumt er der antiken Aesthetik von vorn herein nur die Bedeu-
tung einer Vorstufe ein und lässt die eigentliche Geschichte der Aesthe-
tik, weil sie hier zuerst in der Form eines Systems auftritt, mit Baum -
garten beginnen, wobei dann freilich unerklärt bleibt, wie die Aesthe-
tik trotz des rücksichtlich des Inhalts bedeutenden Fortschritts, wie er,
sich in Lessing offenbart, wieder in Systemlosigkeit zurückfallen
konnte. Hier sieht man recht deutlich, wie innerhalb des Formalismus
als solchen durchaus kein substanzielles Begreifen möglich ist. Von
Baumgarten ab zerfällt nun für Zimmermann die Geschichte der Aest-
hetik in drei Abschnitte, wovon der erste bis Kant, der zweite bis
Hegel reicht. Gegen die Aesthetik des Idealismus des letzteren FPhilo-
sophen gehalten, erscheint ihm dann als die höhere Stufe natürlich die
Aesthetik des Realismus, zu der er sich selbst, als Schüler Herbart’s,
bekennt. Auf dieser Stufe hat nun die Aesthetik die Bedeutung einer
„reinen Formwissenschaft“ angenommen; ein Begriff, dessen Werth sich
später ergeben wird. — Diese, vorläufig eine Kritik Zimmermann’s bei
Seite lassende, Note sollte nur zur Information des Lesers dienen und
die Verschiedenheit in der Auffassungsweise des geschichtlichen Entwick-
lungsganges seitens des genannten Philosophen von der des Verfassers
andeuten. Nur dies Eine ist allerdings zu betonen, dafs Zimmermann
eine Einleitung in die Geschichte nicht für nöthig hält, wodurch etwa
der allgemeine Gang hätte angedeutet werden können, sondern sofort
auf der ersten Seite mit Plato beginnt. Im Uebrigen werden wir nur
selten auf Zimmermann kritisch eingehen können, da namentlich seiner
Darstellung der antiken Aesthetik eine eigentlich organische Entwick-
lung mangelt und er aufserdem Alles_durch die Brille seines_Formalprin-
cips_betrachtet.
10. Zu Nro. 29 (S. 70): ... dies völlige, für unsre moderne An-
schauung höchst auffällige Auseinanderfallen der Kunstproduction
und_der Kunstkritik im Alterthum u. 8. f.
Auch der einsichtsvolle E. Müller ist in dieser Einseitigkeit befan-
gen. Im Eingange zum 5ten Abschnitte seiner vortrefflichen Theorie
der Künste bei den Alten (1X. S. 285), welcher die Zeit vom 2ten Jahrhundert
nach Christi behandelt, spricht er zunächst seine Verwunderung darüber,