ber geht die Richtigkeit dieser Auffassung aus den Stellen hervor, wo
ristoteles diese Ausdrücke nicht in Hinsicht der Tragödie, sondern
z. B. in Bezug auf Musik und Tanzkunst braucht. Von beiden be-
hauptet er, dafs sie Ethos und Pathos und Praxis besitzen; und zwar,
liege bei der Musik das ethische Element in der Melodie, das pathe-
tische im Rythmus. Was könnte aber hier nun Charakter für eine
Sinn haben?. Die Stimmung dagegen als reflexives Empfinden, im Gegen-
atz zum Pathos als Ausdruck leidenschaftlichen Gefühls erklärt sic
dabei auf ganz natürliche Weise. Doch lassen wir diese Trias der Nach-
ahmungsobjekte vorläufig auf sich beruhen, um zu prüfen, wie Aristoteles
an jener Stelle der Poetik (VI, 14) das Wort 7906 falst: Das Erste
in der Tragödie sei der Mythos (also gewissermaafsen das faktische
otiv), das Zweite seien die #9n (Charaktere nach Stahr.) Hier be-
deuten offenbar die 0 die eigenthümlichen Färbungen, den Wechsel
von Licht und Schatten, das Fleisch und Blut, womit das blofse Gerippe
er Fabel umkleidet wird; Charaktere hätte in diesem Gegensatz gar
einen Sinn. Dies geht wohl am besten aus der von Aristoteles hinzu-
gefügten Vergleichung mit der Malerei hervor. Er sagt nämlich (nac
Stahr’s eigner Uebersetzung): „Aehnlich ist es ja auch bei der Malerei.
„Denn wenn Einer hier in seinem Gemälde die schönsten Farbe
„planlos auftrüge, würde er sicherlich nicht dieselbe wohlgefällige Wir-
ze hervorbringen, als wenn er ein wirkliches Bild auch nur im
„Kreideumrifs hinstellte.“‘ Wäre also die Stahr’sche Uebersetzun
ichtig, so möchte also Aristoteles behaupten wollen: Die Fabel ver-
hält sich in der Tragödie zu den Charakteren, wie bei einem Gemäld
die bestimmte, in blofsen Umrifsen schon deutliche Komposition zu
der blofsen Färbung. Der Charakter ist nun aber gerade das Aller-
bestimmteste, die Handlung selbst erst Individualisirende, und man könnt
viel eher umgekehrt der Ansicht sein, dafs ‘der Rohstoff der Handlun
ine bestimmte Form erst durch die charakteristische Individualisirun
rhält. In dieser Stelle selbst liegt also keinerlei Berechtigung dazu,
die 70% mit Charaktere_zu übersetzen.
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2. Gehen wir nun einige Schritte in der Poetik zurück, um zu sehen,
ob Aristoteles den Begriff /00s näher bestimmt. Dies geschieht in der
That, und zwar zunächst in Cap. 6, $ 5, wo er sagt: „In der Tragödie
„handele es sich um die Nachahmung von Handlungen; hiezu gehörten han-
delnde Personen. Diese müfsten aber von bestimmter Beschaffenheit sein,
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„und zwar xarz% 70 NOS XALl TNY ÖLAyOoLKY — denn hinsichtlich diese
„sagen wir auch von Handlungen, sie seien von einer gewissen Be-
„Schaffenheit.“ Hier steht also zunächst das Ethos (nicht die 707 wie
ben) in Gegensatz zu Öıdvot@. Stahr übersetzt diese mit „Reflexion“,
as man acceptiren kann, wenn man dabei an eine Ueberlegung hin-
sichtlich des Zwecks des Handelns, also an die Intention des Handeln
den denkt. Was kann nun %dos, als Gegensatz zu solcher Reflexion
Anderes bedeuten als das Sich-in-sich-zurückziehen des Geistes aus der
nach Aufsen hin, nämlich auf das Ziel des Handelns, gerichteten Re-
exion, das Beisichbleiben der in sich bewegten Seele, d. h. die Stim-
ung? Namentlich, wenn man erwägt, dafls Aristoteles sagt, das Ethos
und die Reflexion bestimmten nicht nur die Qualität des Handelnden
sondern auch die der Handlung selbst. So wenig nun der Ausdruck
harakter für diese Doppelbezeichnung passen würde — denn in den
beiden Zusammenstellungen: Charakter des Handelnden und Charakter
der Handlung hat das_Wort_Charakter_ eine ganz verschiedene Bedeutung
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