Krieg, die wie die vorangehenden in Tournai entstanden sind, befinden sich
in verschiedenen Sammlungen Englands, Frankreichs und Spaniens. Endlich
begegnen wir in den Inventaren und Rechnungen der Zeit vielen antiken
Stoffen als Vorlagen für Teppichbilder.
Wohl erscheinen in allen diesen Werken die antiken Helden in den burgun-
dischen Ritterrüstungen und Hoftrachten des ı5. Jahrhunderts. Das aus-
gehende Mittelalter hatte keinen Sinn für historische Treue. Im Gegenteil,
es mag mit dem auf naturalistische Bestrebungen eingestellten Entwicklungs-
trieb der Epoche zusammenhängen, daß ein deutlich bemerkbares Verlangen
nach Aktualität, nach Betonung der eigenen Kultur-Eigentümlichkeiten vor-
handen war. Trotzdem scheint die Vorliebe für antike Vorwürfe, die sich in
der Dichtung und Kunst der Zeit offenbart, für das Werden der kulturellen
Strömungen nicht ohne Bedeutung gewesen zu sein. Denn so wenig sich
von dem verschwenderischen Trachtenrealismus, von dem unklaren Figuren-
gedränge, von der phantastischen Unruhe der Teppichbilder zur antiken Kultur
eine Brücke schlagen läßt, so deutlich geht aus der Auswahl der Stoffe hervor,
daß in den nordischen Ländern der Wunsch erwachte, die Welt der Antike,
antike Größe, antikes Heldentum darzustellen und zu neuem Leben zu
erwecken. Es wäre wohl zu untersuchen, ob wir hier nicht eine Erscheinung
zu erkennen haben, die als Wegbereiterin der Renaissance im Norden mit
am Werk war.
Auch Roger van der Weyden hat in den Darstellungskreis seiner berühm-
ten Gerechtigkeitsbilder im Rathaus zu Brüssel einen antiken Vorwurf, die
Gerechtigkeit des Trajan, aufgenommen. Rogiers Bilder sind beim Bombarde-
ment der Stadt durch die Franzosen (1695) verbrannt, aber wir besitzen eine
genaue Beschreibung der Bilder aus dem Jahre ı 552, in der auch die Inschrif-
ten der verlorenen Werke überliefert sind. Die genaue Übereinstimmung der
Beschreibung und Inschriften mit dem prächtigen Wirkteppich. im Museum
zu Bern, der die Gerechtigkeitsaktionen Trajans und Herkinbalds (4bb. 36)
darstellt, macht es wahrscheinlich, daß wir hier eine Übertragung der
Originale Rogiers in die textile Bildsprache zu erkennen haben. Der Teppich
schließt sich nicht nur in allen stilistischen und technischen Besonderheiten
den auf Tournai lokalisierten Arbeiten an; es weist auch der Umstand, daß
Kompositionen des berühmtesten Tournaiser Künstlers hier nachgeahmt sind,
auf die Entstehung in diesem Orte.
Es ist kein Zufall, daß die Blütezeit der Tournaiser Bildwirkerkunst mit dem
Aufschwung der wallonischen Tafelmalerei zusammenfällt, die für die Gesamt-
entwicklung der westeuropäischen Kunst zu einem befruchtenden Quellgebiet
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