Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

1. Kapitel. Die soziale Lage Englands beim Anbruch der neuen Zeit. 145 
Schliefslich aber begann die alte Wohlfahrtspolizei innerhalb der 
Städte, die mit soviel Sorgfalt zu Gunsten der Konsumenten für Nieder- 
haltung der Preise der wichtigsten Lebensmittel eingetreten war, zu 
versagen. Die alten Statuten, die den Vorkauf von Getreide und Vieh 
verboten, den Zwischenhandel einengten, eine gute Qualität der verkauften 
Waren forderten, den Profit der Verkäufer beschränkten, für Brot und 
Bier Taxen festsetzten, wurden von den städtischen Behörden nicht mehr 
gehörig durchgeführt oder wohl gar absichtlich aus dem Auge gelassen. 
AsHLEY führt (in seiner „Englischen Wirtschaftsgeschichte“, deutsch von 
Oppenheim) ein Reihe von Beispielen an, die das beweisen. 
Da werden in Nottingham zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Inspek- 
toren des Fischmarktes zur Anzeige gebracht, „weil sie zuliefsen, dafs ver- 
dorbene und gesundheitsschädliche Fische zu Markt gebracht würden“, und 
der Aufseher über das Gerbergewerk wird sogar selber als Verkäufer un- 
genügend gegerbten Leders denunziert. Gegenüber dieser Art gewerblicher 
Inspektion werden die Bürger natürlich etwas kritisch und fragen schliefs- 
lich ziemlich unverblümt: quis custodiet ipsos custodes? Ja sie machen 
am Ende nicht einmal mehr vor der Person des Bürgermeisters halt: Denn 
Der — heifst es in einer 1524 ergangenen Anzeige — „sähe nicht darauf, 
dafs das Brot die gehörige Gröfse habe“; 1530 wird er angezeigt „wegen 
ungerechten Verhaltens gegen unsre Bäcker und Fleischer und besonders 
die Brauer“ (die ungestraft die obrigkeitlichen Vorschriften übertraten) 
und 1556, weil er den Mifsbrauch, dafs sich Zwischenhändler eindrängten, 
die Hafermehl und Salz einkauften und auf demselben Markte teurer 
verkauften, nicht abstellen wollte. 
All das hatte allgemeine wie specielle Gründe. Wo das ganze System 
städtisch-zünftiger Produktion längst nicht mehr in seiner Strenge auf- 
rechterhalten werden konnte, wo mithin die öffentliche Meinung sich an 
ein gewisses Mafs wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit gewöhnt hatte, da 
mu[fste auch die alte Wohlfahrtspolizei ganz von selbst lässiger werden. 
Das mufste umsomehr der Fall sein, wo — wie damals häufig — die 
städtischen Verwaltungen in die Hände eines Ringes wohlhabender 
Familien oder Gewerbetreibender geraten waren, die entweder für die 
wirtschaftlichen Nöte des armen Mannes kein Verständnis hatten oder — 
nur zu interessiert daran waren. Wir werden uns davon leicht einen 
Begriff machen können, wenn wir hören, dafs z. B. Nottingham, wo wir 
soeben den Niedergang der Teuerungspolizei urkundlich verfolgt haben, 
die Geschworenen im Jahre 1527 gegen die Wahl von Bäckern und 
Gastwirten zu Ältesten Protest einlegten, mit der Begründnng, ‚solche 
Wahlen kollidierten mit den Zwecken der für den Lebensmittelhandel 
erlassenen Verordnungen“, und im früheren Jahre, wo ein Gastwirt sogar 
Bürgermeister gewesen, „seien auch die Lebensmitteltaxen nicht gehörig 
durchgeführt worden“! 
ADLER, Sozialismus und Kommunismus. 
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