Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

12 Erster Teil. Viertes Buch. 
hingenommen. Zumal bei den gelehrten Ideologen der höheren Stände, den 
Humanisten, die freilich nicht blofs als Lehrer und Publizisten, sondern auch 
als Beamte der Verwaltung, ja unmittelbar als Ratgeber der Könige sich 
bethätigten, fanden die Klagen der leidenden Unterthanen ein aufmerksames 
Gehör. Die Auffassung der gesinnungsvollsten humanistischen Kreise von 
Gott und Welt — wie sie sich im Anschlufs an die platonisierende Mystik 
des Altertums und ihre Ideale gebildet hatte — liefs nicht zu, dafs das Übel 
hienieden fortwuchere, um gleichermafsen Seele wie Körper der Menschen 
zu verderben und in den Schlamm herabzuziehn, sondern sie wünschte die 
Entwicklung aller menschlichen Fähigkeiten, worin auch die beste Vor- 
bereitung für das himmlische Leben erblickt wurde. Und dementsprechend 
sollte der Fürst, wie schon Petrarca von ihm verlangte, für Ordnung, 
Mafsregeln der Hygiene, billige Lebensmittel, Unterstützung der Elenden, 
billige Steuern und strenge Gerechtigkeit sorgen. „Du mufst — schreibt 
Petrarca unterm 28. November 1373 an den Fürsten von Padua — nicht 
Herr deiner Bürger, sondern Vater des Vaterlandes sein und jene 
wie Deine Kinder lieben, ja wie Dich selbst, und Du sollst auch ihnen 
Liebe zu Dir einflöfsen, nicht Furcht einjagen.“ Männer, die solchen 
Idealen huldigten, mufsten natürlich überall am Werke sein, wo es galt, 
an die Gebresten der Zeit die heilende Hand zu legen. Und darum finden 
wir bei Beginn des 16. Jahrhunderts Humanisten aller Nationen mit dem 
Problem beschäftigt, wie der Herrscher zu regieren habe. In erster Linie 
ragen hier jene auf dem Boden des Katholieismus stehenden Männer 
hervor, die durch ihre Verbindung mit den Höfen auf unmittelbare Be- 
einflussung der weltlichen Gewalt rechnen konnten: so der Engländer 
More, der Franzose Bude, der Deutsche Erasmus, der Spanier Vives. 
Ihre Auffassung vom Staate war durch die Renaissance bestimmt, 
die ihrerseits wieder aus platonischen Quellen schöpfte. Durch die Re- 
naissance war nach JAKoB BURCKRHARDTS treffender Bemerkung die Idee 
vom Staate als einer berechneten bewufsten Schöpfung, ja als einem 
Kunstwerke in Erscheinung getreten: in Florenz war der grofse Irrtum, 
dafs man eine Verfassung machen, durch Berechnung der vorhandenen 
Kräfte und Richtungen neu produzieren könne, wiederholt gepredigt 
worden, und bald waren allerorten Staatskünstler aufgetreten, die durch 
künstliche Verteilung der Gewalten, durch höchst filtrierte Wahlart, durch 
weitgehende Überwachung und ähnliche Mittel einen dauerhaften Zu- 
stand begründen und alle Faktionen und Bevölkerungselemente gleich- 
mäfsig zufrieden stellen wollten. So fand unter den Humanisten der 
Gedanke Verbreitung, dafs man einen Staat konstruieren könne. Und 
da bei grofsen Kulturvölkern der menschliche Geist jeweilig vielfache 
Variationen derselben Idee hervorsprudelt, so kann es nicht wunder 
nehmen, dafs unter all den Staatskonstruktionen des 16. Jahrhunderts 
auch ein Vorschlag auftaucht, der unter dem Einflusse von Platos, des 
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