Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

2. Kapitel. Mores kommunistisches Staatsideal. 171 
des Gemeinwesens bei, das nur durch Laster zerstört wird, die ihrerseits 
wieder die Folge schlechter Grundsätze sind. 
„Ihre Priester heiraten die durch ihre Eigenschaften hervorragendsten 
Frauen des Landes. Die Frauen sind keineswegs vom Priestertum aus- 
geschlossen, indessen werden sie selten dazu erwählt, und dann nur ältere 
Witwen“ (MorgE, in der Übersetzung Kautskys, die für die meisten 
Citate mafsgebend gewesen Ist). 
Schliefslich noch ein Wort darüber, wie sich More die Einführung 
der idealen Ordnung gedacht hat; da ist es nun charakteristisch, dafs 
alle geschilderten Einrichtungen sich auf den Fürsten Utopus zurück- 
führen, der angeblich das Land erobert und dort. ein Gemeinwesen nach 
den von ihm ersonnenen Prinzipien und Plänen aufgerichtet hat. — — 
4. Kritische Würdigung. Der Gedankengang Mores, den wir nun 
vollständig übersehen können, hat durch seine Geschlossenheit, Folge- 
richtigkeit und kühne Originalität etwas Imponierendes: in dieser Hin- 
sicht drängt sich der Vergleich der Moreschen Utopie mit der Plato- 
nischen Politeia ganz von selber auf. Beide Male handelt es sich um 
das Problem, Gerechtigkeit und Glück in der menschlichen Gesellschaft 
zu verwirklichen, und beide Male ist die Lösung grofsartig durch die 
Konsequenz und schöpferische Kraft, mit der die einmal angenommenen 
sozialethischen Prinzipien zur vollkommenen Durchführung kommen: so 
haben sie denn auch beide die tiefste Bedeutung für alle späteren Staats- 
konstruktionen gewonnen. 
In der Ausführung selber zeigt sich allerdings auch wieder die grofse 
Differenz zwischen den beiden Systemen, die sich einfach daraus ab- 
leitet, dafs der antike Denker durchaus Philosoph oder, vielleicht rich- 
tiger, philosophischer Künstler war, der den idealen Bau des erträumten 
Seins, unbeirrt durch praktische Rücksichten und reale Bedürfnisse der 
Menschennatur, bis zur stolzen Höhe des Übermenschentums aufrichtete, 
— während der englische Autor Humanist und zugleich voll humani- 
tären Sinnes war, ein Mann, der das Volk liebte, das praktische wirt- 
schaftliche Leben genau kannte und die Anlage seiner Schöpfung danach 
einrichtete. So ist More menschlicher, — aber Plato gewaltiger. More 
hat eine weltgeschichtliche Bedeutung erlangt, sein Ideal hat durch die 
Jahrhunderte fortgewirkt, die von ihm entworfenen Grundsätze einer 
kommunistischen Arbeits- und Wirtschaftsverfassung sind bis heutigen 
Tages für alle kommunistischen Zukunftsbilder, die mitzählen, vorbild- 
lich geworden, -— während Platos System von echt antiker marmorner 
Gröfse, darum unmittelbar unfruchtbar für die Massen ist, aber seit der 
Renaissance gerade auf die grofsen Geister, von More bis herab zu 
Schopenhauer und Nietzsche, eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus- 
vyeübt hat. —
	        
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