Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

176 Erster Teil. Viertes Buch. 
Lehrling waren damals nicht blofs Anhängsel der Werkstätte, sondern 
auch der Familie des Meisters, der ihnen unter seinem Dache ein Heim 
gewährte, mit ihnen zusammenlebte und sie in Zucht und Gottesfurcht erhielt. 
Dies reale Verhältnis erscheint nun in Utopien in vervollkommneter 
Form in der Institution der Grofsfamilie, die dort die ökonomische Ein- 
heit bildet, wieder. Auch die Grofsfamilie ist Arbeits- und Lebensgemein- 
schaft ganz wie das Haus des mittelalterlichen Handwerksmeisters oder 
Bauern, aber sie ist nach Gründen der Nützlichkeit reformiert; denn sie 
ist nicht von der zufälligen Gröfse der Familie und des Betriebskapitals 
abhängig, sondern sie hat durchgängig soviel Mitglieder, als zur besten 
Vollbringung ihrer wirtschaftlichen Auf&aben (nach Mores Ansicht) nötig, 
d. h. 10—16 im Gewerbe und mindestens 40 auf dem Lande. Die nötige 
Zucht wird gewahrt, indem der älteste geisteskräftige Mann die Leitung 
hat, und indem alle anderen ihm zum Gehorsam verpflichtet sind. Was 
jeder solche Betrieb zu produzieren hat, Qualität wie Quantität wird durch 
die Centralbehörde vorgeschrieben, — und da jeder Einzelne, vom 
Betriebschef bis herab zum letzten Jungen und zur letzten Gehilfin, sein 
Fach gelernt hat und versteht, so macht sich Alles ungemein einfach. 
Denn die Übereinstimmung zwischen Angebot und Nachfrage ist durch 
die Feststellung des Bedarfs und entsprechende Gestaltung der Produktion 
hergestellt, und die höchste technisch-ökonomische Produktivität, das 
gewünschte Quantum von Produkten bei einem Minimum von Arbeits- 
aufwand, ist durch die geschilderte Einrichtung der gewerblichen und 
landwirtschaftlichen Betriebe verbürgt. 
Wie man sieht, ist es das technische Utilitätsprinzip, das für 
die von More ersonnene wirtschaftliche Organisationsform malsgebend ist: 
ganz entsprechend dem innersten Wesen der von ihm vertretenen huma- 
nistischen Anschauung, dafs die für die allseitige vernunftgemäfse Ent- 
wicklung der Menschen (im Sinne Picos) nötigen Güter mit einem mög- 
lichst geringen Arbeitsaufwand herbeizuschaffen seien, damit alle Menschen 
von physischer Arbeitsleistung möglichst befreit würden. Und bewun- 
dernswert ist hier, wie More mit dem Auge des Kenners alle Formen 
der ihn umgebenden produzierenden und konsumierenden Lebensbethä- 
tigungen untersucht, um sie in Harmonie mit seinem Postulate zu bringen. 
Wie weit diese Utilität geht, wird am klarsten durch die ungenierte 
Art illustriert, mit der er ihr selbst die zartesten und schamhaftesten 
Empfindungen rücksichtslos zum Opfer bringt: ich erinnere blofs an die 
groteske, aber sehr bezeichnende Art der Enthüllung der nackten Leiber 
der Leute, die einander zu heiraten beabsichtigen. 
Abgesehen von solchen &eschmack- und sittenlosen Seitensprüngen 
ist aber der wirtschaftliche Aufbau der neuen Gesellschaft von More 
geradezu klassisch konstruiert, so dafs die bei ihm zuerst in Anwendung 
gekommenen Prinzipien in den sozialistischen Konstruktionen der Folee-
	        
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