Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

” Erster Teil. Viertes Buch. 
haben, arbeiten und schlafen, je nachdem ihnen die Lust dazu ankommt. 
„En leur reigle mn’estoit que ceste clause: Fay ce que vouldras 
Parce que gens liberes, bien nayz, bien instruietz, conversans en Compeignies 
honnestes, ont par nature ung instinet et aguillon qui tousjours les poulse 
ä faictz vertueux, et retire de vice: lequel ilz nommoyent honneur!“ 
Durch Zwang und Gewalt dagegen — meint Rabelais — würde jener 
Trieb in sein Gegenteil verkehrt, indem er sich ganz naturgemäfs in die 
Begierde verwandele, das Joch abzuschütteln: denn, was verboten sei, 
erscheine uns eben deswegen unseres Strebens im höchstem Grade wert. 
Im Orden stellt sich darum gerade als Folge der unbedingten Freiheit 
die vollste Harmonie ein. Alle wetteifern darin, immer nur das zu thun, 
was den Anderen genehm ist. Und so schliefst die Darstellung des 
Phantasiebildes mit einer warmblütigen Schilderung des brüderlichen 
Gemeinschaftslebens von Männern und Frauen: „Sagte Einer nur oder 
Eine: lafst uns trinken! so tranken sie Alle; sagte Einer: lafst uns 
spielen! so spielten sie Alle; sagte Einer: lafst uns promenieren! so pro- 
menierten sie Alle. Wollte Einer mit dem Falken Jagen, so bestiegen die 
Frauen sogleich ihre schönen Zelter, an der Hand das Jagdpferd und 
auf der Faust einen Sperber oder Falken, während die Männer die andern 
Vögel trugen“. Ein lebensfreudiges Ideal, das bei aller phantastischer Über- 
treibung uns immer noch menschlich-natürlicher anmutet als die Moresche 
Utopie mit ihrer Disziplin und ihren psychisch herabgestimmten Menschen. 
Will man es mit einem Worte charakterisieren ‚ So mufls man sagen: 
es stellt die anarchistische Utopie der bevorzugten Stände dar, — wie 
zwei Jahrtausende früher Platos Politeia deren kommunistische Utopie. 
2. Campanellas „Sonnenstaat“. Das von More gegebene Beispiel der 
Staatskonstruktion in Form eines Romans, der ideale Zustände ferner 
Völker im Anschlufs an die neuen Weltentdeckungen schildert, mufste 
umsomehr zünden, als es in der ganzen Kulturwelt den gröfsten Beifall 
gefunden hatte. So kam es, dafs es zu vielen Nachahmungen Anlafs 
gab. Die berühmteste davon stammt aus Italien, — wie nicht zu verwun- 
dern, da das eigentliche Vaterland von Renaissance und Humanismus 
natürlich auch in jener Zeitepoche die meisten Staatskonstruktionen her- 
vorgebracht hat: es ist die „Civitas Solis“ des Cam panella, die sich aus 
der furchtbaren Mifswirtschaft des spanischen Regiments in Unteritalien 
als idealer Gegensatz gleichsam von selbst zu ergeben schien. 
Tommaso Campanella (geboren 1568 zu Stilo in Calabrien) entschied 
sich, durch das Studium der Schriften des Thomas von Aquino ange- 
regt, schon früh für die Theologie und trat, noch ganz jung, in den 
Dominikanerorden ein. Durch sein glänzendes Rednertalent und sein 
reiches Wissen erregte er bei öffentlichen Disputationen grofses Aufsehen, 
zog sich aber auch die Feindschaft der Jesuiten zu, die hauptsächlich durch 
seinen Kampf gegen die aristotelische Philosophie und für eine neue, mit den 
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