Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

4. Kapitel. Der christlich- kommunistische Staat in Paraguay. 189 
Seine Stifter waren italienische Jesuiten, — Männer, die, ähnlich wie 
Campanella, wenn auch schwerlich in Abhängigkeit von seinem System, 
von der Weltherrschaft eines restaurierten Katholizismus, der die Bildung der 
Renaissance ın sich aufgenommen, träumten und ihre Verwirklichung zu- 
nächst in der anderen, unter spanischer Oberherrschaft stehenden Hemi- 
sphäre in Angriff nahmen. Hier war in den Landstrichen am Rio de la 
Plata und am Paraguay das System der Kommenden (comendaria = 
Lehnsherrschaft) durchgeführt, in denen die — vornehmlich zum Stamme 
der Guaranis gehörenden — Indianer als Grundhörige spanischen Herren 
zugeteilt waren; diese sollten die fronpflichtige Bevölkerung gut halten, 
vor Mifshandlung schützen und im Falle von Krankheit und Invalidität 
für sie ausreichend sorgen: aber trotzdem alljährlich königliche Kom- 
missare ins Land kamen, um die Befolgung der Verordnung zu sichern, 
stellte es sich doch als unmöglich heraus, die Indianer auch nur einiger- 
mafsen vor der ruchlosen Habgier ihrer Herren zu schützen. Diese Mifswirt- 
schaft führte teils zur unglaublichsten Verwüstung des Menschenmaterials, 
teils zur Empörung der Rothäute und zu ihrer Flucht in die meilenweit 
sich hinziehenden Wälder. Danach konnte es nicht wundernehmen, dafs 
ihre „Civilisierung“ keine Fortschritte machen wollte und die Zahl der 
Kommenden im Laufe des 16. Jahrhunderts nicht erheblich vergröfsert 
werden konnte. Die Einzigen, die Gerechtigkeit und Mut genug besafsen, 
diesem korrupten System entgegen zutreten, waren die Missionäre der 
Gesellschaft Jesu; aber sie erreichten damit zunächst nichts weiter, als 
dafs die spanischen Ansiedler ihnen untersagten, das Gebiet der Kom- 
menden zu betreten. Jetzt begaben sich die beiden thätigsten und un- 
erschrockensten Ordensbrüder, die Italiener Kataldino und Maceta, in 
die Wälder, setzten sich unter den Guaranis fest, lernten ihre Sprache und 
predigten ihnen die christliche Lehre: und bald hatten sie unter den Wilden 
einen nach Tausenden zählenden Anhang, der zu ihnen als den Vertretern 
der Gottheit gläubig aufblicekte. Da kam ihnen angesichts des weichen 
Charakters dieser Indianer, ihrer Gutmütigkeit und Fügsamkeit der Ge- 
danke, miıt diesem Volke ein eigenes, vom Orden zu leitendes Gemein- 
wesen zu schaffen, einen den Eigenschaften der Guaranis und den Ab- 
sichten der Jesuiten gleichzeitig entsprechenden Staatsmechanismus: ein 
Projekt, das in der Zeit der Renaissance, wo der Staat allgemein als Werk 
menschlicher Kunst angesehen wurde, nahe genug lag. Die Erlaubnis 
des spanischen Hofes zu seiner Verwirklichung ward bei dem Einflufs, den 
die Jesuiten dort besafsen, und bei der Geringfügigkeit der Einnahmen 
des Staates aus dieser Provinz unschwer erlangt, und so machten sich die 
Jesuiten bald mit der gewohnten Energie ans Werk. Sie gründeten eine 
Reihe von Niederlassungen in dem Landstriche östlich vom Paraguay bis zum 
Uruguay, übernahmen einige andere von den bisherigen spanischen Herren 
und führten in ihnen eine Verfassung durch, die von zwei Voraussetzungen
	        
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