4. Kapitel. Der christlich -kommunistische Staat in Paraguay. 191
waren den Ländereien gewidmet, die dem Staate gehörten; aus deren
Ertrage wurden zunächst die Bewohner, die selber keine Landwirtschaft
trieben, versorgt; was übrig blieb, wurde auf den auswärtigen Märkten
verkauft, und der Erlös teils zum Ankaufe der Produkte verwandt, die
im Lande selber nicht hervorgebracht wurden (wie Salz, Kalk und alle
Metalle), teils in die Kasse des Ordens abgeführt.
Die Frauen wurden vorzugsweise mit dem Verspinnen von Baum-
wolle beschäftigt, die sie jeden Samstag von der Behörde geliefert er-
hielten. Alle Gewerbsprodukte mufsten die Missionen selber herstellen:
Das wurde dadurch erreicht, dafs man eine hinreichend grofse Zahl von
Eingeborenen, die manuelle Geschicklichkeit bewiesen, für den gewerk-
lichen Beruf ausbildete. Das Quantum Arbeit und Produkt, das geleistet
werden mufste, wurde im voraus bestimmt, und danach hatten sich die
Indianer. unbedingt zu richten. Da auf den ungeheuren Weiden nach
Hunderttausenden zählende Viehherden gehalten wurden, so war es leicht,
alle Bewohner genügend mit Fleisch zu versorgen: und faktisch liefs
auch die Behörde durch den Gemeindefleischer täglich eine bestimmte
Zahl von Rindern und Schafen schlachten und das Fleisch dann an die
einzelnen Familien verteilen. Die materielle Lebenslage war auf aus-
drückliche Anordnung der Centralyerwaltung in allen Missionen die
gleiche, ohne Rücksicht auf etwaige günstigere Produktionsbedingungen
in den einzelnen Niederlassungen: mit den Überschüssen der reicheren
Missionen wurde dem Mangel der ärmeren abgeholfen. So sorgte die
Verwaltung unter der Leitung der Jesuiten für Alles und überwachte
Alles: die Erziehung der Kinder, die schon im frühen Alter an regel-
mäfsige Beschäftigung gewöhnt wurden, die Feldarbeit, den Dienst der
Hirten und die gewerkliche Thätigkeit, den Bau und die Reparatur der
Häuser, in denen die einzelnen Familien wohnten, die Beteiligung Aller
am Gottesdienste und die Vergnügungen und Feste. Einzelnes davon be-
darf noch einer näheren Ausführung. Jeder männliche Indianer war ge-
halten, im Alter von siebzehn Jahren ein Mädchen von fünfzehn zu
heiraten; die nötige Ausstattung — ein Stück Land, ein Joch Zugochsen,
Axt, Pflug und Messer — erhielt das junge Paar sogleich von der
Gemeinschaft, später ein eigenes Häuschen, sobald sich die Familie ver-
oröfserte. Wie sehr auch das eheliche Leben der obrigkeitlichen Fürsorge
unterlag, geht daraus hervor, dafs nur Indianer, die Kinder hatten, ihre
Haare lang wachsen lassen durften, und dafs — einem anscheinend glaub-
würdigen Berichte zufolge — mitternächtlicher Weile der Schall der Kirchen-
glocken die Männer „propter notam indolem desidiosam Indiorum“ an die
Ausübung ihrer ehelichen Pflichten erinnerte. Starb der Ehemann, so fielen
Haus und Werkzeuge wieder der Mission zu, da sie kein privates Erb-
recht anerkannte; die Witwe aber wurde in einem besonderen Witwen-
haus untergebracht. Auch für Ruhe, Abwechslung und Feste war Vor-