) Erster Teil. Erstes Buch.
So war Attika nahe daran, gänzlich eine Beute der Aristokratie zır werden,
die ohnehin alle politischen Rechte in ihrer Hand vereinigte, als eine
mächtige Volksbewegung ihr die von Solon_— einem athenischen Aristo-
kraten — vorgeschlagenen Reformen abtrotzte (594 v. Chr.). Deren grofse
Bedeutung wurzelte in zwei Akten: in der Aufhebung der persönlichen
Haftbarkeit der Schuldner (mit rückwirkender Kraft dieses Gesetzes) und
in der Aufhebung aller Schuldforderungen an das Landvolk („Seisachthie“,
d. h. Abschüttelung aller Lasten). Mit einem Schlage wurden alle Bürger,
die im Lande zu Sklaven gemacht worden waren, frei und konnten Alle,
die Schulden halber das Land verlassen hatten, zurückkehren; und mit
einem Schlage war der Bauer, der bisher nur Fröner des Adels ge-
wesen, seiner Verpflichtungen ledig und sein eigener und seines Gutes freier
Herr. Auf diese Weise war thatsächlich eine Bauernbefreiung grofsen
Stils durchgeführt, waren Bodenverschuldung und Latifundien aus der
Welt geschafft: vielleicht die gewaltigste soziale Reform, die jemals in
der Weltgeschichte auf friedlichem Wege zur Ausführung gelangt ist.
Seitdem ist die Existenz des Kleinbauernstandes im alten Attika im Laufe
von Jahrhunderten — von kriegerischen Invasionen abgesehen — nie
mehr in Frage gestellt worden: wobei freilich den Bauern zu Hilfe kam,
dafs das Regime der Grofsgrundbesitzer bald nach der solonischen Re-
form politisch und wirtschaftlich vernichtet wurde, — zunächst durch
die Diktatur der Pisistratiden, die sich auf die Parzellenbauern stützte
und antiaristokratisch par excellence war, und dann durch die Demokratie.
So steht der grofsartige Erfolg der solonischen Sozialpolitik aufser Jedem
Zweifel; und sicher ist ihr ein mächtiger Anteil an der wundervollen
Entwickelung Athens in der Folgezeit zuzuschreiben, da sie am meisten
zur Erhaltung eines breiten und gesunden bäuerlichen Mittelstandes und
also auch zum mächtigen militärischen und politischen Aufschwunge des
Landes beigetragen hat. —
Der soziale Konflikt zwischen Kleinbauernstand und Latifundienwirt-
schaft, der keinem Kulturvolk des Altertums erspart geblieben ist, mufste
in Rom infolge der Weltherrschaft wie der politischen Konstellation ganz
besonders riesige Dimensionen annehmen. Zunächst war nämlich die
römische Bauernschaft seit.dem-Ersten-Punischen-Kriege durch die langen
Feldzüge ganz besonders stark. mitgenommen-worden: sei es durch direkte
Verluste im Felde, sei es durch Vernachlässigung ihrer Besitztümer oder
durch die Entwöhnung von der landwirtschaftlichen Arbeit. Dazu kam
dann die erhöhte Konkurrenz durch die Einfuhr von Getreide aus den
eroberten Ländern, zumal Sizilien und nachher Sardinien und Spanien.
Die Hauptsache aber that hier, wie stets im klassischen Altertum, die
Kreditnot des kleinen Bauern: mit der Entwicklung der landwirtschaftlichen
Technik brauchte er etwas Kapital; und da er es nicht selbst hatte, fing
er zu borgem an, ohne dafs Aussicht da war, es bald zurückzugeben: das