3. Kapitel. Kritische Würdigung des platonischen Kommunismus. 41
Schliefslich darf auch nicht vergessen werden, dafs selbst Plato trotz
seiner heftigen Polemik gegen die „Sophisten“ doch noch unbewufst zum
Teil im Banne ihrer Anschauungen steht. „Ganz frei — sagt F. DÜMMLER
— ist auch er, wenigstens im ‚Staate‘, noch nicht von den Schwächen
und Irrtümern dieser Richtung, deren üppigste Blüte in seine Jugendjahre
fällt. Die naive Analogie zwischen Individuum, Staat und Kosmos, der
echt sozialistische Optimismus, der sich in der Überschätzung der Beleh-
rung und Erziehung kundgiebt, sind Atavismen aus der Aufklärungsepoche,
der ‚Sophistenzeit‘, so häufig man auch letzteren Zug als specifisch
sckratischen zu betrachten pflegt. Solange, oder vielleicht richtiger, so
oft Plato an die mögliche oder nahe Verwirklichung seines, Staatsideals
glaubt, ist er in sophistischen Voraussetzungen befangen, unterliegt er dem
berauschenden Zauber jener jugendlichen Weltverbesserungsepoche, die
das Problem des Idealstaates hervorgebracht hatte, und teilt dann die
sophistische Überschätzung der Pädagogik.“
Wir haben damit wohl die wesentlichsten der den Sozialpolitiker
interessierenden Züge des platonischen Zukunftsbildes angegeben, für die
sich die Anlehnung an früher geäufserte Gedanken nachweisen läfst;
und gar Manches wäre vermutlich noch hinzuzufügen gewesen, wenn
nicht die litterarischen Erzeugnisse des 6. und 5. Jahrhunderts zumeist.
verloren gegangen wären. Trotzdem verliert mit jenen Nachweisungen
die Politeia nur scheinbar an Originalität und keinesfalls an Bedeutung.
Denn all die aufgeführten Ideen sind nicht einfach übernommen worden,
sondern sie boten blofs den Anlafs, um das Bild vom Idealstaat, das
sich Plato als Konsequenz seiner Weltanschauung ergab, näher auszu-
führen. Das zeigt sich auch darin, dafs jene Ideen gähzlich. in seinen
Plan eingeordnet erscheinen und zu diesem Zwecke entsprechend abge-
ändert werden.
Noch weniger als an Originalität verliert die Politeia durch die er-
wähnten Nachweisungen an Bedeutung. Denn weltgeschichtlich
hat erst. dieses Werk es vermocht, so vielen Ideen Beachtung zu ‚sichern,
— und dafs es das gekonnt, beruht auf der grandiosen Behandlung
des Stoffes, der künstlerischen Form des Vortrages: und der eisernen
Konsequenz, mit der die höchsten moralischen Prinzipien ohne Rücksicht
auf die Institutionen und Vorurteile seiner Zeit zur Geltung gebracht
werden. Hierin, in diesem gewaltigen Heraustreiben einer grofsen Idee,
das vor den Augen des Lesers gleichsam von selbst zu erfolgen scheint,
liegt das Geniale und: Dämonische der Politeia, und aus dieser Gewalt
über unser Gemüt, welche die sittliche Gröfse Platos ausübt, ist die Wir-
kung des Buches. über die Jahrhunderte hinweg zu erklären, — und
so kommt es, dafs trotz alles Wandels der Dinge, des. Untergangs der
antiken Welt, des Wechsels auch der wichtigsten Anschauungen, Vorur-
teile und Denkmethoden, bei Beginn der neuen Zeit und oftmals später