44 Erster Teil. Erstes Buch.
die Regierung erfüllen (weil sie es eben am besten weifs), was eigent-
lich die Pflicht des Individuums sein sollte, nämlich — nach GoETHES
Wort — aus sich ein Organ zu machen und den Platz einzunehmen,
den die Gesellschaft ihm offen läfst.
Da damals ökonomisch durchaus keine Tendenz zum Grofsbetrieb
bestand, im Gegenteil der Kleinbetrieb in der städtischen und ländlichen
Produktion sich noch als durchaus rentabel erwies, so war die Konse-
quenz, dafs das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht ange-
tastet werden konnte, und demgemäfs hat auch Plato nicht an einen
Kommunismus der Produktion gedacht. Der Kommunismus, den
er predigte, war vielmehr ein solcher der Konsumtion, und auch
dieser sollte nur den höheren Klassen — Herrschern, Philosophen und
Kriegern — zu gute kommen. Die Prinzipien, die in gewissen Einrich-
tungen Spartas — vor allem in der Befreiung der Vollbürger von aller
Erwerbsarbeit und in ihren gemeinsamen Mahlzeiten — andeutungsweise
enthalten sind, erscheinen im platonischen Staate klar herausgearbeitet und
erlangen mit allen ihren Konsequenzen unbeschränkte Gültigkeit: aber
doch erfahren wir über diesen Kommunismus, der für die Konsumtion
der höheren Klassen Regel ist, an Einzelheiten im Grunde nicht mehr,
als dafs ihre sämtlichen vor dem Richterstuhle der Moral gerechtfer-
tigten ökonomischen Bedürfnisse — also, sozusagen, die im Sinne der
platonischen Lehre „vernunftgemäfsen“ Bedürfnisse — durch Steuern
der übrigen, politisch rechtlosen Klassen anfgebracht werden sollen.
Diese Reserviertheit gegenüber einer wichtigen Frage des Zukunftsstaates
entspringt aber nicht etwa den gleichen Motiven, wie sie etwa für das
Schweigen der modernen Sozialisten über die Details ihres sozialen Bau-
planes mafsgebend sein mögen, sondern sie ist ein Ausflufs der jedem
Kenner alter Geschichte bekannten Gleichgültigkeit der antiken Denker
gegenüber rein wirtschaftlichen Erwägungen, — man denke nur an die
Bemerkung des Aristoteles: auf das Detail des Gelderwerbs einzugehen,
sei zwar für die Betriebe von Wert, aber es sei für den Denker gemein,
dabei zu verweilen. —
Dies Alles jedoch, was als Schwäche des Werkes betrachtet werden
kann, bildet nach anderer Richtung hin gerade seine Stärke. Um eine so
wunderbare Staatsdichtung zu schaffen, die soviele Ideen bis zur letzten
Konsequenz fortentwickelt und anschaulich vorführt, und die noch nach
Jahrtausenden den Leser erwärmt und fortreilst, — dazu war eben nötig,
dafs das gewaltigste ethische Pathos, dessen die Menschenbrust fähle
ist, Sinnen und Fühlen des Autors ausschliefslich beherrschte und seine
Feder mit kühnem Striche über alle Bedenken der Praxis hinweggehen
liefs. So kam er dazu, dem Mifsgebilde attischer Volksherrschaft gegen-
über die geniale Skizze eines Staatslebens zu zeichnen. wo die reyieren.