45 Erster Teil. Erstes Buch.
schen Spekulation jener Tage, von selbst gegeben. So führte das Prinzip
der Bedürfnislosigkeit in logischer Konsequenz von der Negation der
Kulturbedürfnisse zur Negation aller Institutionen der Kultur:
der Ehe, des Eigentums, des Staates. Diese letzten Resultate werden
nun freilich — wenn wir von der Aufhebung der Familie absehen, die
Diogenes ausdrücklich vorschlug — von der eynischen Schule selber
(wenigstens in den uns erhaltenen Fragmenten cynischer Litteratur) nur
leise angedeutet; wohl aber finden sich jene kühnen Konsequenzen im
ältesten System der Stoa, das sich an die eynische Ethik eng anschlofs,
eben im System Zenos, eines Zeitgenossen Dikäarchs, offen ausgesprochen.
Leider ist uns dieses selber nicht erhalten; immerhin sind wir im stande,
aus dem, was wir darüber durch andere Autoren wissen, eine Skizze
des darin vertretenen merkwürdigen Gesellschaftsideals zu rekonstruieren.
Als erster Naturtrieb gilt ihm der Selbsterhaltungstrieb; er
verbürgt die Zukunft des Menschengeschlechts und ist so. „gleichsam
eine List der Natur, welche uns den Egoismus nur eingepflanzt hat,
um auf diesem Umwege die Kontinuität des Menschengeschlechts zu
sichern“ (LupwıG Sreıx, Die soziale Frage im Lichte der Philosophie).
Zur Korrektur des Egoismus hat uns aber die Natur einen zweiten Trieb,
den nach Gemeinschaft mit anderen Menschen, eingeimpft, und dieser
von Natur in uns wohnende Gemeinschaftstrieb führt %anz von selbst
zur Gerechtigkeit und Menschenliebe, indem dadurch allein ein dauern-
des und glückliches Gemeinwesen ermöglicht wird. Haben wir nur die
erforderliche Einsicht, so müssen wir unbedingt das naturgemäfse Leben
— das „Öuokioyovu&vws tn puoeL nv“ — nach den eben festgestellten
Grundsätzen bewulfst zur Richtschnur unseres ganzen Handelns machen
und dürfen uns nicht um die nur künstlich zu Gütern gestempelten
Dinge, wie Besitz, Ehre und dergleichen kümmern. Wie bereits früher
die Cyniker, so geht auch Zeno, wie das in Konsequenz seiner Prinzipien
sich ergiebt, über den Rahmen der griechischen Nationalität hinaus und
postuliert mit Entschiedenheit ein Weltbürgertum, — was im Zeitalter
von Alexanders Weltreich, das Barbaren und Hellenen zu Einem Ganzen
zu einen strebte, dem Manne von orientalischem Stamme doppelt leicht
fallen mufste. So tritt er schon hier in Gegensatz zu Plato, der nıe den
Rassen-Hellenen verleugnen kann, und thut es noch mehr in der Aus-
arbeitung seines sozialen Ideals, so dafs er schon im Altertum gerade
in diesem Punkte als Antipode Platos aufgefafst wird („dvr&yoaiwWe
mwo0s nV ITidrtwvog mwohdıtslarv“, wie es bei PLUTARCH heifst). So will
auch Zeno nichts von Staatsomnipotenz, Bevormundung und Reglemen-
tierung wissen, sondern er verlegt die Allmacht des Gesetzes ins Innere
der Menschen; sobald diese nur einsichtig genug sind, um ihren wahren
natürlichen Trieben zu folgen, werden sie alle von Gerechtigkeit und
Liebe zu ihren Mitmenschen erfüllt sein, und Eintracht und Harmonie
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