Full text: Bis zur französischen Revolution (1. Abteilung, 3. Band, 1. Teil)

50 Erster Teil. Erstes Buch. 
eigene organisch entwickelt und ist nicht mechanisch aus fremdartigen 
Elementen zusammengesetzt worden. Die Zähigkeit im Festhalten des 
einmal Ergriffenen, die Konsequenz im Durchführen des einmal Gebilligten 
und der damit verwandte Trieb zu systematischer Vollständigkeit, alle 
diese Eigenschaften, die-der semitischen Rasse in hervorragendem Grade 
eigen sind, sınd zugleich solche, die bei der Entstehung der zenonischen 
Lehre sich geltend machten“ (RupDoLr Hırzen). 
Da aber jene anarchistischen Ansichten der Wirklichkeit des Lebens 
und erst recht den althellenischen Traditionen ins Gesicht schlugen, so 
vermochten sie nicht Anhänger zu werben, obwohl die rein philosophische 
Lehre des Autors zum Ausgangspunkt einer mächtigen, die Weltanschauung 
ganzer Jahrhunderte bestimmenden Geistesbewegung wurde. Ja, die 
späteren Stoiker haben gerade das politische Werk, das ihr Meister am 
Anfange seiner Laufbahn verfafste, und worin jene anarchistische Doktrin 
gepredigt wird, als eine ihnen fatale Publikation betrachtet, und vielleicht 
darf man die folgende Notiz in der Zenobiographie des DIOGENES LAERTIUS 
damit in Zusammenhang setzen: der Direktor der pergamenischen Biblio- 
thek, Athenodor, habe — obwohl selbst Stoiker — die anstöfsigen Stellen 
in den Exemplaren der Bibliothek getilgt! 
Immerhin darf nicht verkannt werden, dafs auch den späteren Stoikern, 
wenngleich nicht ein anarchistisches, so doch stets ein kosmopolitisch- 
universalistisches Ideal vorgeschwebt hat, und dafs mithin Zenos Lehre 
in ihrer Abwendung von nationaler griechischer Politik Erfolg gehabt 
und im Endeffekt wesentlich dazu beigetragen hat, den Übergang vom 
antiken Staatsbürgertum zu hellenistischem Indifferentismus und Kosmo- 
politismus — dem Reflex von Hellas’ politischer Ohnmacht — zu vermitteln. 
Vergleicht man die Doktrin Zenos mit jener Platos, so sieht man, 
dafs beide gleichmäfsig mit dem Bestehenden aufräumen und das Reich 
der Sittlichkeit auf Erden verwirklichen wollen. Aber in der Art, wie 
ihnen die Erfüllung dieses Zieles vorschwebt, sind ihre Anschauungen 
toto coelo verschieden. Während Plato den höchsten Zwang mit allen 
nur erdenklichen Mitteln der Staatsmacht angewendet wissen will, über- 
Jäfst Zeno Alles der Freiheit, dem Sittengesetz, das ins Innere der 
Menschen aufgenommen worden ist, so dafs alle staatlichen Institutionen 
zu existieren aufhören, der Staatsbegriff selber sich verflüchtigt. Der 
hierarchischen Gliederung dort steht hier die vollkommenste Gleichheit 
gegenüber. Und predigt Plato den Kommunismus, indem sich der Kern 
seiner wirtschaftlichen Vorschläge in die (freilich nur für die oberen 
Klassen gültige) Formel fassen läfst: allgemeine Arbeitspflicht und Ver; 
teilung der Güter nach den (im moralisch-rigoristischen Sinne aufgefafsten) 
vernunftgemäfsen Bedürfnissen, — so läfst sich der Kern der entsprechen- 
den Prinzipien Zenos auf die anarchistische Formel reduzieren: Jeder
	        
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