Full text: Anpassung der industriellen Arbeit an die psychophysische Beschaffenheit des Menschen

Aufgabe unterzieht sich seit Jahren mit einem erstaunlichen Fleiß 
und musterhafter Gründlichkeit Prof. Dr. Lipmann in dem von 
ihm geleiteten Institut für angewandte Psychologie. Sein „Arbeits- 
zeitproblem“‘ gibt einen einzigartigen und umfassenden Überblick 
über das Problem der Arbeitszeit, sowohl theoretisch wie praktisch. 
Seine 1515 einzelnen Angaben über die Wirkung von Arbeitszeit- 
veränderungen auf das Arbeitsresultat liefern den umfassendsten 
Beweis dafür, daß eine Arbeitszeitverkürzung nicht immer eine 
Leistungssteigerung zur Folge haben muß, und daß umgekehrt eine 
Arbeitszeitverlängerung nicht immer ein Mehr an Leistung nach 
sich zieht. 
Die psychophysische Erklärung für die Steigerung der Arbeits- 
leistung bei kürzerer Arbeitszeit ergibt sich aus einer Unterscheidung 
des Kräfteverbrauchs des Fabrikarbeiters in einen ordentlichen 
und in einen außerordentlichen Verbrauch. Der ordentliche ent- 
steht bei der eigentlichen Verrichtung der Arbeit, denn zum Ab- 
drehen einer Schraube ist an derselben Maschine der gleiche 
Energieaufwand erforderlich; bei Mehrproduktion steigt er eben 
in entsprechendem Maße, gleich in welcher Zeit die betreffende 
Arbeit fertiggestellt wird. Der außerhalb des Arbeitsaktes statt- 
findende außerordentliche Kräfteverbrauch wird durch die Tat- 
sache des Arbeitens bedingt. „Nicht eigentlich die meist schweren 
Handgriffe und Arbeitsleistungen, sondern dieses Zusammenleben, 
Zusammenatmen, Zusammenschwitzen vieler Menschen, diese da- 
durch entstehende ermüdende Druckluft, das nie verstummende, 
nervenabstumpfende, gewaltige quietschende Geräusch und das 
unausgesetzte Stecken in ewigem Einerlei, oft an ein und derselben 
Stelle — dies alles zusammen macht unsere Fabrikarbeit zu einer 
alle Kräfte anspannenden, aufreibenden Tätigkeit*.‘“ Dieser außer- 
ordentliche Kräfteverbrauch, der oft einen nicht unerheblichen 
Teil des Gesamtenergieaufwandes ausmacht, wird also bei einer 
Verkürzung der Arbeitszeit abnehmen, und zwar bei einer Re- 
duzierung von 10 auf 8 Stunden nicht etwa nur um */,, sondern 
infolge des rascheren Ansteigens der Ermüdung in den späteren 
Arbeitsstunden um bedeutend mehr. Der Gewinn kürzerer Arbeits- 
ı P, Göhre, Drei Monate als Fabrikarbeiter, S. 74. 
SZ
	        
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