Die Bemalung der Fleischteile
setzen naß in naß gemalter feinster Strichlagen von zart dunkler und
wieder heller werdender Farbe gelöst. Aber was in der Fläche noch
möglich war, war auf der gewölbten Rundung einer Skulptur, bei der
Geschwindigkeit,in der diese ArtMalereierfolgenmußte,ausgeschlossen.
Die Zuhilfenahme der Harzölfarbe beseitigte diesen Übelstand. Es han-
delte sich in der Hauptsache darum, an den stark gefärbten Teilen eines
Gesichtes, den Wangen und Lippen, nicht durch die stark deckende
Temperafarbe, sondern durch transparente Farbtöne, wie sie die Harz-
ölfarbe bot, eine kräftige Wirkung zu erzielen. Man wandte daher ein
Malverfahren an, das auch in der Tafelmalerei schon gebräuchlich war
und das sich ungefähr mit dem Prozeß, den man heute noch das Ge-
heimnis der Brüder van Eyck oder die Erfindung der Ölmalerei nennt,
deckt). Auf den abgebundenen Kreidegrund wurde eine kräftig fleisch:
farbene Harzölfarbe gleichmäßig aufgetragen. Es war dies eine gleich-
mäßige Tönung des Grundes, eine Imprimitur, deren Leuchtkraft auch
unter einem stark deckenden Temperaüberstrich noch wirksam blieb.
Auf diese Untermalung, die rasch trocknete, setzte man eine Lage Tem
perafarbe, die kräftig und körperhaft gehalten war und die, durch be-
wußte Steigerung ins Lichte, an den dazu geeigneten Stellen, einer Art
Weißhöhung, also Modellierung, gleichkam. Die Lippen und Wangen
färbte man entweder gleich bei diesem Anstrich, naß in naß, kräftig rot
oder man verstärkte sie durch eine dünne Temperalasur. Nach dem
Trockenwerden der ersten Temperaschicht, die wieder matt einschlug,
wurde durch den Überzug des ganzen Gesichtes mit einer nochmaligen
Lasur von Harzfarbe, die stellenweise ins tiefste Rosa gesteigert wer-
den konnte, die endgültige, fein abgetönte Gesichtsfarbe geschaffen.
War das Resultat nicht befriedigend, so konnte das ganze Verfahren
nochmals wiederholt werden, immer in der Weise, daß über eine T’em-
peraschicht eine Schicht Harzfarbe zu legen kam. Das ganze Gesicht
wurde auf diese Art sorgfältig abgetönt und der helle Fleischton nicht
nur an den Wangen und Lippen, sondern auch in den Augenhöhlen,
an der Nase, am Kinn, an den Ohren und den Wangengrübchen bis zum
Rot sachte gesteigert. Das Resultat war der heute noch staunend be-
wunderte Schmelz unberührter gotischer Gesichtsfassungen, die wie
1) Vgl. Doerner, a. a. O. Seite 187 ff,, Seite 253 ff.
Vgl. Berger, a. a. O. Seite 252 ff.
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