Hildesheim — 200 —
Halbkreisgiebeln abgeschlossen, auch in diesem Teil eine Fülle
von Reliefszenen aus feinem Sandstein, in der Anordnung an
niederländische Schnitzaltäre erinnernd. Die tektonischen und
ornamentalen Formen in einer aus der Lombardei und Venedig
abgeleiteten FrRenss., gemischt mit spgot. Erinnerungen. Die
Komposition des Ganzen, wenn auch ohne höheres architekto-
nisches Gefühl, durch den Eindruck des Reichtums ühber-
wältigend und alles Detail durch Feinheit des Geschmacks und
technische Brillanz höchst ausgezeichnet. Wer der leitende
Künstler war, ist nicht überliefert, die figürliche Plastik erinnert
stark an den jüngeren Beldensnyder in Münster, Das Chor-
gestühl einfach, am Dorsal Teppiche, geschenkt 1614.
— Die älteren Altäre sind sämtlich verschwunden. Am Hoch-
altar silbernes Antependium, gestiftet 1700. Flügel des
ehem, Hochaltars der Michaelis-K., Schnitzwerk in Linden-
holz, A. 16. Jh. (angeblich von 2 Brüdern E//en, Laienbrüdern
des Klist.). Trefflicher Altar der unbefleckten Empfängnis von
Paul Egel in Mannheim 17831. Georgsaltar von J. F,. Ziesenis
in Hannover 1748. — In der Vierung die sog. Irmensul
(nach der Sage aus der von Karl d. Gr. zerstörten Eresburg),
in 2 Stücken aus Kalksinter, gleiches Material im Obergeschoß
des Kreuzgangs, metallene Basis, desgl. Kapt. in Vasenform,
darauf silbernes Muttergottesbild. von 16 Leuchterarmen um-
geben. — Die bronzenen Türflügel (WVorhalle) 1015
von Bernward in S. Michael eingesetzt (Inschr.), von seinem
Nachfolger Godehard in den Dom gebracht, 4,72 m h., 1,15 m
br. Jeder Flügel in 8 quer-rck, Felder geteilt, die durch flache,
schwach profilierte Leisten gesondert werden. Links 8 Szenen
aus der Geschichte der ersten Menschen von der Erschaffung
bis zu Kains Brudermord, rechts 8 Szenen aus der Geschichte
Jesu von der Verkündigung bis zur Begegnung des Auf-
erstandenen mit Magdalena. Die Reihenfolge links von oben
nach unten, rechts von unten nach oben; bei der Begegnung
stehen, ein sinnreicher Gedanke, Sündenfall und Kreuzigung
sich gegenüber. Der Vortrag ist im höchsten Grade naiv; es
ist, als habe der Künstler Reliefs nie gesehen, nur vom Hören-
sagen sie gekannt. Er benutzt die Freiheit, die das Modellieren
in Wachs ihm ließ, dazu, die für den Ausdruck wichtigsten
Teile, die Köpfe, in voller Rundung frei aus dem Grunde vor-
treten zu lassen, so daß die Gestalten von der Schulter ab nach
vorn überfallen. Ebenso ungeschickt ist die Komposition:
wenige Figuren willkürlich über die viel zu großen Flächen
zerstreut, die Leere notdürftig mit Architektur und Bäumen
ausgefüllt, von der Bedeutung des Rahmens weder ästhetisch
noch technisch eine Ahnung. Der Gesamteindruck ist wie von
nebeneinandergeklebten Miniaturen (wie denn auch solche
gewiß als Vorlagen mitbenutzt sind). Und doch, bei voll-
ständigem Mangel an Fachtradition, ein wirklich begabter
Künstler. Die naive Kraft und Prägnanz des Ausdrucks muß
zu ihrer Zeit eine große volkstümliche Wirkung getan haben.