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Wissenschaft ferner Stehenden einen Begriff von dem Geiste der heutigen
Chemie zu geben,
Tübingen, Mai 1887.
Karl Seubert.
Aus dem Vorwort der Original-Ausgabe.
Bei Anlage dieses Buches war ich bestrebt, den Standpunkt festzu-
aalten, daß dasselbe für Anfänger im Studium der Chemie bestimmt ist.
Statt möglichst viele Einzelheiten zu bringen, welche das Gedächtnis des
Lernenden nur überbürden ‚könnten, habe ich mich auf eine geringere
Stoffmenge beschränkt, als sonst wohl im chemischen Elementarunter-
richt üblich ist; doch war ich sorgfältig bemüht, diejenigen Körper und
Erscheinungen auszuwählen, welche am geeignetsten erschienen, einen
Einblick in das Wesen der chemischen Vorgänge zu gewähren. — — —
Man macht unsern chemischen Elementarbüchern häufig den Vor-
wurf, daß sie nicht wissenschaftlich sind, das heißt, daß nicht genug
Nachdruck auf die zwischen den besprochenen Erscheinungen bestehen-
len, Beziehungen gelegt wird, — daß die Behandlungsweise keine syste-
matische ist. — — — Unleugbar stellen sich einer rein wissenschaft-
lichen Behandlung der Chemie in einem für Anfänger bestimmten Buche
große Hindernisse entgegen, die Darstellung kann aber nach meiner
Ansicht wissenschaftlicher, als dies gewöhnlich der Fall ist, gehalten und
dabei dem Schüler das Verständnis gleichwohl erleichtert werden. Vor-
liegendes Buch ist ein Versuch in dieser Richtung.
Zwei Fehler sind es, die beim chemischen Unterricht vorwiegend
vegangen werden. Einmal werden die tiefsten Theorien dieser Wissen-
schaft häufig schon abgehandelt, ehe noch der Schüler die erforderliche
Vorbereitung erlangt hat; sie vermögen ihm daher nur geringes Inter-
esse einzuflößen, er lernt sie wohl dem Wortlaute nach kennen, aber er
ıat kein eigentliches Verständnis für sie.
Sodann läßt man den Schüler Versuche anstellen, ohne ihm klar zu
machen, weshalb sie ausgeführt werden und was sie ihn lehren sollen.
50 kann es denn kommen, daß er schließlich zwischen dem Gegenstande
seines Lehrbuches und seinen Arbeiten im Laboratorium wenig oder gar
keinen Zusammenhang mehr erkennt.
Nun sollte aber das Ziel eines jeden wissenschaftlichen Unterrichts
in erster Linie die Ausbildung und Angewöhnung einer wissenschaft-
lichen Art des Denkens sein, Dies kann weder durch ein ausschließ-
liches Studium der Theorien, noch durch planloses Experimentieren er-
reicht werden, sondern nur durch systematisches Studium der Erschei-