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artige Stoffe zugegen sind, mit denen sie sich verbinden können, unter
sich zu Molekeln vereinigen. Es läßt sich dann leicht denken, daß jedes
Atom noch isoliert chemisch aktiver sein, also lebhaftere chemische Ver-
wandtschaft zeigen wird, als nach seiner Vereinigung mit einem zweiten
Atome seiner Art zu einer Molekel, in der es immerhin schon eine Bin-
dung erleidet. Diese Anschauung erklärt ungezwungen einige merk-
würdige und schon lang gekannte Erscheinungen. .
Man hat nämlich beobachtet, daß Elemente im Augenblicke ihres
Freiwerdens aus einer Verbindung Umsetzungen zu bewirken vermögen,
die sie im freien gasförmigen Zustande nicht hervorrufen können.
So bringt freier Sauerstoff, unter gewöhnlichen Bedingungen in Chlorwasserstoff-
säure eingeleitet, keine Veränderung hervor, wird er aber bei Gegenwart von Salz-
säure aus einer Verbindung abgeschieden, so zersetzt er diese Säure und macht Chlor
aus ihr frei, (Vgl. S, 73.) Wasserstoff ruft, in Salpetersäure eingeleitet, keine Um-
setzung hervor, wird er aber in unmittelbarer Berührung mit Salpetersäure entwickelt,
so reduziert er diese Säure und bildet schließlich sogar Ammoniak (vgl. S. 110).
Die große chemische Trägheit des gasförmigen Stickstoffs beruht vielleicht auf einer
besonders festen Bindung der beiden Atome N in der Molekel N,, zu, deren Auf-
;paltung ein hoher Energieaufwand nötig ist, wie z. B. bei der Bildung von NO aus
N, und ©, (s. S,. 114).
Die einfachste Erklärung dieser Erscheinungen ist die oben gegebene.
Man sagt von einem Elemente, es sei im Augenblicke seines Freiwerdens
aus einer Verbindung im Entstehungszustande (in statu nascendi).
Molekel und Atom in physikalischer und chemischer Hinsicht.
Wie aus dem Gesagten hervorgeht, bestehen nach unserer heute gelten-
den Auffassung alle Stoffe, elementare sowohl als zusammengesetzte, aus
nechanisch kleinsten Teilchen, den Molekeln. Die Molekel ist das Aleinste
Teilchen einer Substanz, das. durch mechanische. Teilung erhalten werden
und im freien Zustande bestehen kann.
Es ist anzunehmen, daß in Gasform sowie in Lösungen die Stoffe
in ihre isolierten Molekeln gespalten sind, während« letztere in festen
und flüssigen Körpern noch durch Kohäsion zusammengehalten werden;
theoretisch müßte man auch hier durch fortgesetzte mechanische Teilung
auf die Molekel selbst kommen. Solange eine Einwirkung auf eine Sub-
stanz nicht in die Molekel hineindringt, keine Zerlegung der Molekel
zur Folge hat, gehört sie in das Gebiet der Physik. Die Molekeln be-
stehen aus Atomen, welche durch chemische Verwandtschaft zusammen-
gehalten werden. Das Atom beteiligt sich an chemischen Umsetzungen und
ist das Zleinste Teilchen eines Elementes, das überhaupt existenzfähig ist. Wäh-
rend die Molekel mechanisch unteilbar, chemisch aber meist noch teil-
bar ist, kann das Atom weder mechanisch noch chemisch weiter geteilt
werden.
Man muß sich aber stets erinnern, daß diese Sätze keine Tatsachen bezeichnen.