Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Man war nicht einmal verständig genug, um ernst aufklärerische 
Gedanken zu verfolgen. Indifferentismus und Spottlust, ein lü— 
sterner Aberglaube und ein behaglicher Unglaube flossen zusam— 
men. — Ein Autor, welcher als Zeuge berichtet, erklärt an die— 
ser Stelle, das Schlimmste nicht sagen zu können 19); wohl aber 
an jener andern 20), wo er den Höhepunkt der römischen Porno— 
tratie schildert. 
In der That, hier waren die allgemeinen Mißzustände in Ita— 
talien zu einer Ungeheuerlichkeit gesteigert, welche nicht überboten 
werden zu können schien. Der Pontificat Johann's XII. krönte die 
Reihe der Greuel, welche St. Peter's Stuhl erlebt hatte, als das 
grausige Bachanale, welches der Satanismus als Parodie auf 
den katholischen Glauben feierte. In diesem wirkten die Motive 
seiner Autorität, und doch hatte derselbe seit länger als einem 
halben Jahrhundert Alles gethan, jene zu zerrütten. Das Insti— 
cut, in welchem nach katholischer Vorstellung die Gewalt der Kirche 
gipfeln soll, um die Könige dieser sündigen Welt durch die geist— 
liche Zucht zu zähmen, war selbst der Sitz des Regiments der 
Sünde geworden. Der Pontifex, welcher seit dem Jahre 955 den 
Stab des Apostelfürsten in seinen Händen trug, war nach dem 
Urtheile der Zeitgenossen ein Heide?!). Den Verkündiger des 
alleinseligmachenden Dogma kannte Jedermann als den prakti— 
schen Atheisten, welcher in den Excessen unnatürlicher Wollust die 
Seligkeit fand. Ein wildes Waidmannsleben entzückte den Ober— 
hirten der Christenheit. Die Succession der Päpste, welche seit 
funfzig Jahren eine nahezu fortgehende Kette von Verbrechern 
gezeigt, hatte in Alberich's II. Sohn ein Glied sich eingefügt, 
welches wie ein Miniaturbild die Züge der Gesammtheit versicht— 
harte. Alles schien zusammenzutreffen, um den Glauben der ka⸗ 
tholischen Christen vor allem in Mittelitalien zu zerstören, — das 
Verhältniß zu dem apostolischen Stuhle aufzulösen. Dennoch ist 
es historisch gewiß, daß es dazu nicht?) gekommen sei. Diese 
Hochpriester übten die geistliche Regierungsgewalt nach wie vor 
Zweites Buch: IV.
	        
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