Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Zweites Buch: IV. 
aus: die Verfügungen wurden, von einzelnen Fällen abgesehen, 
zur Ausführung gebracht, ihre höchste Genehmigung häufig nach— 
gesucht, die centrale Bedeutung ihrer Macht selten positiv verläug— 
net, nur ausnahmsweise angefochten. 
Allerdings als Sergius III. zum zweiten Male die von Papst 
Formosus vollzogenen Ordinationen für nichtig erklärte, war eine 
Streitliteratur 28) entstanden, welche auf den ersten Blick den Ein— 
druck macht, als sei die sittliche Emphrung des Gewissens das 
Motiv der Kritik. Man fragte, wie derjenige wohl herrschen könne, 
welcher über sich selbst zu herrschen nicht im Stande sei23); man 
zeigte sich gereizt durch die launenhafte Verwendung der aposto— 
lischen Gewalt?2s). Man ging soweit, diese vielmehr als Corre— 
lat der Würdigkeit zu beurtheilen 260): nicht kann derjenige binden 
im Namen des Petrus, welcher sich selbst nicht gebunden hat wie 
er. Gleichwohl vernahm man daneben die feierlichen Bekenntnisse 
der Huldigung; Ausdrücke eines entwürdigenden Knechtssinnes?7) 
mischten sich mit den Phrasen eines kirchlichen Liberalismus oder 
wechselten mit denselben ab. Der nämliche Autor, welcher den 
Papst Sergius III. als den verruchten Usurpator des päpstlichen 
Stuhls schildert?8), vergöttert ihn selbst?9), vergöttert die Theo— 
doraso) ohne Scheu. 
Warum auch nicht? — Diese ceremonielle Selbstdemüthigung 
war das bequemste Mittel, unbelästigt zu bleiben, wenn man von 
dem christlichen Dogma absah und zeitweilig in einem heidnischen 
Fatalismus die Erklärung der Räthsel des Lebens suchte. Was 
zu thun wäre der winselnde Vulgarius nicht bereit gewesen, wenn 
der Papst nur geruht hätte, die eine Bitte um Restitution zu 
erfüllen? — Aber das Schicksal bestimmt die Weltlage. Niemand, 
auch nicht derjenige, welcher meint am sichersten zu stehen, kann 
sicher in Bezug auf die Zukunft sein 21). Gott unser König dre— 
het die Schicksalsräder 22). Oder sein leibhaftiger Stellvertreter 23). 
— Es kommt vielleicht auf dasselbe hinaus, wenn man vom Zu— 
fall redet, welcher den Wechsel der Verhältnisse der Sterblichen
	        
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