Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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handelte, sah er eben davon ab. Dieser Diener Gottes war wie 
Finer ein Mann der Welt, welcher die Rede: „in den Dingen der 
Wissenschaft behauptet das Göttliche den Vorrang, in den practischen 
geht das Menschliche voran“ 23) durch zahlreiche Beispiele verdeut— 
licht hat. Denn lieber als dem Walten übernatürlicher Mächte, 
der Wunderkraft der Kirche hat er der eigenen Combination ver⸗ 
trauet. Jene ist wohl das Object der politischen Erwägung und 
Thätigkeit, aber nicht die Quelle der sittlichen Erkenntniß, nicht 
das Licht seines Lebens gewesen. Das leuchtete ihm in dem 
Wissen der Weltweisheit, welche den Glauben an die göttliche 
Providenz schien auf sich beruhen lassen zu wollen. Wohl ent— 
fuhr ihm hin unb wieder ein frommer Stoßseufzer24): als Cle— 
riker konnte er es ja nicht unterlassen, unter Umständen von Gott 
und göttlichen Dingen zu reden. Aber nicht nur, daß er auch 
hier sich vergreifend neben dem ewigen Könige und seinem Welt— 
plan des blinden Ungefährs gedenkt2s5), den Glauben umgeht, 
in der Philosophie?6) Trost zu finden gesteht; thatsächlich hat er 
gehandelt nach Maßgabe des Gedankens von der Geschichte als 
einem von dem überlegenen Verstande bestimmbaren Getriebe end⸗ 
licher Kräfte. Nicht als ob er, die Leistungsfähigkeit des Einzel— 
nen überschätzend, die Rolle eines schwärmerischen Weltverbesserers 
hätte spielen wollen; statt die eigene Kraft in bedenklicher Weise 
zu spannen, rechnete er vielmehr mit den vorhandenen Verhält— 
nissen als gegebenen Größen mit der Sicherheit, welche allein eine 
lange Erfahrung giebt. In der Wissenschaft ein kühner, bahn— 
brechender Entdecker, in der Politik in erster Linie ein bedächtiger 
Beobachter, erst in zweiter ein divinatorischer Planer, hat er die 
jedesmalige Lage der Dinge vor allem zu verstehen gesucht, ehe 
er eingriff. Dann galt es die Aufgabe so zu lösen, daß die 
Förderung des eigenen Interesses erzielt ward. Dort war er der 
seiner Zeit vorauseilende Seher, hier der in den Schranken der— 
selben sich haltende Eudämonist; dort bemüht den Horizont der 
Weltbetrachtung zu erweitern, hier den Zuständen beziehungsweise 
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Zweites Buch: V.
	        
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