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der Zufälligkeit der synodalen Majoritäten 10), von den Intriguen
der Kirchenpolitik — alles Das hat mehr, als lediglich die logi⸗
sche Consequenz das vermocht haben würde, die Selbstbefreiung
von der traditionellen Gläubigkeit beschleunigt. — Also ist der
zweite Abendmahlsstreit geworden, was der erste nicht war, ein
Kampf um die höchsten Kriterien der religiösen Wahrheit, — ein
Conflict der Tendenz der negativen Aufklärung unmittelbar mit
dem damaligen autoritativen Kirchenthum, mittelbar mit dem
Christenthum der positiven Offenbarung.
Zweites Buch: VIII. IX.
IX.
Weder das Eine noch das Andere ist freilich unanfechtbar.
Denn diese Fehde, ursprünglich ein Ereigniß innerhalb der fran—
zösischen Landeskirche, demnächst ein beziehungsweise allgemein
kirchliches, hat in diesen, wie in andern Punkten völlige Ana⸗
logien mit vielen anderen dogmatischen Debatten. Auch die
Weise der Polemik, der Gebrauch der Beweismittel sind bis zu
einem gewissen Grade die gleichen. Auf Seiten der Berengarianer
wie der Gegner geht man auf Schrift und Tradition zurück.
Die letztere wird von dem Scholasticus in Tours und den Sei—
nigen nicht etwa von vorneherein abgelehnt; vielmehr betont er
dieselbe in überaus starker Weiser). Ja grade die hierher ge⸗
hörigen Argumentationen sind nicht nur die weitläufigeren, sie
nachen auch den Eindruck, als sei es dem Autor eine Gewissens⸗
oflicht zu zeigen, der Widerspruch gegen die Doctrin des Mönchs
von Corvey sei in Einklang mit den Erklärungen der angesehensten
abendländischen Väter, die eigene Theorie sei keine andere, als
die alte, die des vierten Jahrhunderts. Vor allen ruft er den
Augustine) und den Ambrosiuss) zu Zeugen auf, eifrig bemüht,
die, wie er meint, unberechtigte Interpretation des Paschasius,
Radbertus und Lanfranc zu widerlegen, das ächte Verständniß
der so arg Gemißhandelten wiederherzustellens). Zu dem Ende
Reuter, Geschichte der Aufklärung im Mittelalter Bd. J. 7