Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Zweites Buch: IX. 
mußten die das Dogma betreffenden Stellen untersucht werden. 
Und wer mag läugnen, daß Berengar hier eine Akribie zeigte, 
welche den in der Detail-Forschungs) geschulten Techniker offen⸗ 
bart? — Nichtsdestoweniger verliert er sich niemals in Einzel⸗ 
heiten. Vielmehr unter Protest gegen jede atomistische Inter— 
pretations-Methode geht die seinige darauf aus, das Specielle aus 
dem Zusammenhanges) des Ganzen, das Dunkele aus dem Deut— 
licheren?) zu erläutern. Wird dieser Grundsatz der maßgebende, 
dann wird man auch nicht über Widersprüche bei dem nämlichen 
Autor klagen. Nicht nur Augustin stimmt mit sich selbst zu— 
sammen; auch Ambrosius, Hilarius, Hieronymus zeigen keine Diffe— 
renz mit jenems). Sie alle sammt dem richtig verstandenen Meß— 
ranonꝰ) legen ein einhelliges Zeugniß dafür ab, daß die Kirche grade 
n ihrer classischen Zeit von dem Dogma der neumodischen Kirchen⸗ 
männer nichts wußte. — Gleicherweise hat er das Ansehen der 
Bibel, das Recht des Schriftbeweises anerkannt. Mehr als ein— 
mal wird in seinem Munde die Erklärung laut, die Gegner 
wären befugt denselben zu fordern; er sei verpflichtet auch in 
dieser Hinsicht Genüge zu leistento). Die Beschuldigung, daß er 
es grade darin an sich habe fehlen lassen!i), reizt ihn zum 
Widersprucht2) und er bricht um so heftiger hervor, je mehr er 
sich getroffen fühlen mochte. Das böse Gewissen verräth sich 
jelbst, wenn die Apologie, statt den in der ersten Schrift man— 
gelhaftenn8) Schriftbeweis zu ergänzen, dreist erklärt, derselbe 
sei in der zweiten genügend geführt, und sofort die Kläger in 
polterndem Tone angreift. Das sind jene Eiferer, welche stets 
die heilige Schrift im Munde führen, aber das Wort des Herrn: 
„Forschet in der Schrift“ ebensowenig verstehen wie die Juden, 
zu denen es ursprünglich gesprochen istns). Statt zu forschen, 
fesseln sie vielmehr alle freie Forschungu0), legen die Bibel nicht 
aus, sondern ihre beschränkten Vorurtheile in dieselbe hinein. 
Was kann man von dem großen Haufen der Theologen erwarten, 
welche trotz der Warnung des Apostels sich doch stets an den Buch—
	        
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