Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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staben klammern, der da tödtet, und den Geist nicht habenn0), 
welcher lebendig macht? — Diese rohen Dilettanten, denen jede 
Vorstellung von einer wissenschaftlichentz) Auslegungsmethode 
fremd ist, begreifen nicht, daß die speciellen Stellen in den Ver— 
band des Ganzen einzureihen, die Aussprüche Christi und der 
Apostel zu unterscheiden seien; noch viel weniger, daß die, welchen 
die Bibel ein Buch des Lebens zum Leben werden solle, die 
Glaubens-Analogiens) hinzuzubringen haben als ein Selbst— 
ständiges neben ihr. Ob Schrift? ob Geist? Diese Fragelno) 
sehen wir täglich beantwortet durch Illustrationen in Thatsachen. 
Was aus der Schrift wird ohne den Geist? — Ein Fabelbuch2o), 
welches der Mündige schamerfüllt aus der Hand legen wird. 
Schlägt man das erste Buch Mosis auf und liest: „Und Gott 
sprach: Es werde Licht!“, so muß man nach dem Grundsatze der 
Buchstäbler an ein Sprechen mit der Zunge, mit den Lippen 
denken, d. h. durch einen so arg entstellten Gottesbegriff abge— 
stoßen, an der göttlichen Offenbarung selbst irre werden21). 
Wählt man zur Lectüre die Mosai'schen Gesetze, prüft jene klein— 
lichen, die speciellsten Verhältnisse, selbst die Kleidung regelnden 
Bebote Jahves und bleibt dabei in der Vorstellung befangen, die 
positive Aeußerlichkeit derselben decke sich mit der spiritualen 
Wahrheit, auch nach göttlicher Absicht hätten dieselben so ver— 
standen werden sollen, wie sie von dem sinnlichen Volke ver— 
standen worden sind: dann muß man einräumen, die natürlichen 
Gesetze der Spartaner, Athener und Römer seien vernünftiger 
und herrlicher, als diese übernatürlich?2) geoffenbarten. Ebenso 
in Bezug auf das Neue Testament. Auch hier findet man hun— 
derterlei Ungereimtheiten und Unmöglichkeiten, wenn man an der 
literalen Hülle haften bleibt. „Wer kein Schwert hat, verkaufe sein 
Gewand und kaufe ein Schwert“ heißt es Luc. XXII, 36. Und das 
soll also befolgt werden, wie es lautet? — Ja, wenn die Stelle 
der Buchstabe werden soll, der da tödtet?s). Matth. XVI 19 lesen 
wir: „Alles, was Du auf Erden binden wirst, soll auch iun Himmel 
Zweites Buch: IX.
	        
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