Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Zweites Buch: X. XI. 
formeln geredet wird, welche folgerecht nur unter Voraussetzung 
eines supranaturalistischen Offenbarungsbegriffs gebraucht werden 
können. Allein eben so sicher ist das Andere, daß in den bei 
Weitem meisten Fällen Tradition und Schrift unter die gemein— 
same Rubrik der Autoritätso) gebracht werden, und weiter daß 
einzelne Thatsachen (deren Erklärung wir uns noch vorbehalten) 
das Urtheil über seine principale Stellung nicht bedingen dürfen. 
Ueberall da, wo diese in voller Klarheit erkennbar wird, erscheinen 
Autorität und Wahrheit als unversöhnliche Gegensätzesn). Die 
eine kann nicht gewährleistet werden durch die andere; die Auto— 
rität ist zu stürzen durch „die Wahrheit“. — Aber durch welche? 
XI. 
Man findet das Wort in den meisten Stellen allein), an 
anderen mit dem Zusatz die „deutliche“, die „sonnenklare“, die 
„klar erkannte“, daneben die Formel „die Evidenz der Wahrheit“2). 
Wahrheit und Erkenntniß fallen also zusammen in der Gewißheit. 
Wahrheit ist nichts Anderes als Wahrheitserkenntniß 2), und zwar 
nach der Mehrzahl der Stellen eine schon fertige. Wie oft beruft 
sich unser Autor nicht auf dieselbe, indem er gewisse Erkenntniß— 
sätze als schlechthin bewiesene oder vielmehr sich selbst beweisende 
voraussetzt! — Es sind Ariome, welche unmittelbar einleuchten, 
ebenso sicher wie das Einmaleins *), sie dringen sich auf in völli⸗ 
ger Unbedingtheit, als ein Unwiderstehliches, Handgreifliches. — 
Aber daneben stoßt man auf die ganz andere Lehre, daß Wahr— 
heit und Erkenntniß außer einander sein können. Jene ist das 
Ziel, diese der Wego); die erstere erst zu erringen. Und dazu 
gehört Mühe und Arbeit, Anstrengung und Schweiß, Methode 
und Studium 6): was Alles nicht Jedermanns Ding ist, vielmehr 
der großen trägen?) Masse der Menschen überschwänglich dünkt. 
Was allen eigen sein sollte, scheint somit nur den der Wissen— 
schaft Kundigen eigen zu werden, die dialektische Bildung als
	        
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