Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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106 Zweites Buch: XI. XII. 
Der Mensch ist rational, gar viele dem Berengar gleichzeitige 
Menschen sind irrational. Die rationale Erkenntniß drängt sich 
mit Nothwendigkeit auf, und doch zeigen Tausende, daß sie davon 
keine Erfahrung haben. Diese werden in den Augenblicken, wo 
der Beweis geführt wird, als wenigstens des vernünftigen Den— 
kens Fähige vorausgesetzt; gleichwohl sind ausgesprochenermaßen 
in dieser Fehde „Licht und Finsterniß“ im Streite mit einander 13). 
Man könnte versuchen, eine Ausgleichung so verschieden lau— 
tender Thesen anzubahnen. Scheint nicht die Annahme eine be— 
rechtigte zu sein, der Verfasser habe sich in der Hitze des Streits 
in extreme Urtheile verirrt; Uebertreibungen des Ausdrucks seien, 
wie billig, auf das rechte Maß des Gedankens zurückzuführen? 
— Was er Schlimmes über die Zustände seiner Zeit schriftlich 
ausgesagt hat, ist vielleicht in ruhigeren Stunden mündlich milder 
von ihm beurtheilt worden. Die Rede von der bleibenden Unver— 
aunft darf man als eine sprachliche Hyperbel betrachten, welche 
nichts Anderes als das unerträglich langsame Fortschreiten auf 
dem Wege der Vernünftigkeit bedeutet. — Allein eine Apologie 
dieser Art, welche dem Manne von Tours Gedanken zuschreibt, 
welche nicht einmal angedeutet sind, ist weit entfernt zu rechter 
Würdigung anzuleiten. Man hat die Widersprüche vielmehr stehen 
zu lassen, um grade in denselben diesen Aufklärer zu begreifen. 
XII. 
Ihn nöthigte die Gewißheit von dem unbedingten Werthe 
der vernünftigen Wahrheit dazu, auch die unbedingte Geltung 
derselben in dieser Welt vorauszusetzen. Alle Menschen müssen 
sie erkennen und anerkennen, die ächte Menschheit ist die vernünf— 
tige. Jeder daher, welcher dieser angehört, muß der Widerlegung 
der Wandelungslehre beipflichten. — Allein diese Sätze bewährten 
sich praktisch keineswegs; nicht die Zeitgenossen ohne Ausnahme 
zaben „der Wahrheit“ die Ehre, sondern nur eine Partei. Eine
	        
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