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Zweites Buch: XIII.
deutlich, der Briefsteller kann kaum die Zeit erwarten, wo wenn
nicht die ganze Kirche, so doch wenigstens die vaterländische den
Fortschritt, welchen die Aufklärung verlangt, auch wirklich gemacht
haben werde.
Ob das eine ideglistische Selbsttäuschung gewesen ist? Oder
aber ein ernstlich verfolgter, durch die politischen Conjuncturen in
Frankreich erleichterter Plan? — Man hat gemeint: vielmehr das
Letztere. Und nicht blos Berengar habe denselben gefaßt, auch
Heinrich J. sei darin eingeweiht gewesen. Auf nichts Geringeres
als auf Wiederherstellung einer Gallicanischen, Romfreien Kirche
(wie sie zeitweilig in bedingter Weise gegen Ende des 10. Jahr—
hunderts bestanden hatte) mit eigenthümlichem Dogma wären die
Gedanken des Königs und Berengars hinausgegangen?6). Es
ist wahr, der eine oder andere der Gegner will wissen, daß
diese Nachtmahls-Stürmer auch noch andere Lehren angegriffen,
die Kindertaufe bekämpftz?7), die gesetzmäßigen Ehen aufgelöst
hätten. Ja, Dinge, welche man nicht einmal zu denken wagen
dürfe, wolle man sich nicht der ärgsten Blasphemie schuldig
machen, habe der Eine dem Andern ins Ohr gesagt?s). — Eine
Nachricht, welche, so wie sie lautet, kein prüfender Historiker für
Jlaubwürdig erachten wird; die Farbe des Ketzerrichterlichen haftet
zu deutlich daran. Allein diese Inquisitoren haben vielleicht ein
Halbrichtiges gewittert; was vorübergehende zweifelnde Gedanken
gewesen sein mögen, wurde in Uebertreibungen als festes, ge—
heimes Bekenntniß des Unglaubens gedeutet. Aber grade wenn
das letztere eine Thatsache wäre, dann sicher die Nichtbetheiligung
des Königs eine zweite. Die Gründung einer lediglich neologi—
schen Kirche konnten nur unpraktische Leute planen, nicht er. Die
Stellung desselben überhaupt in diesem Streite ist durch die
fragmentarische Ueberlieferung nicht aufzuhellen29). Also bleibt
nur übrig, dem Berengar allein jene die Aufklärung in ganz
Frankreich erzielenden Gedanken zuzuschreiben. — Aber diese
sreuzen sich eben mit ganz andern.