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Zweites Buch: J. II.
der Gedanke versucherisch auf, daß das Christenthum in dem da—
naligen Frankreich dazu entartet sei: so derb sinnlich, magisch,
in dem Bedürfniß miraculoser Ungeheuerlichkeiten unersättlich ist
der Aberglaube des Volks gewordenn). Um so wahrscheinlicher
ist es, daß daneben ein frivoler practischer Unglaube bestand.
Ob auch jener andere, welchen wissenschaftliche Bedenken moti⸗
virten? — Ueberliefert ist darüber, soviel ich sehe, nichts. Gleich—
wohl scheint die Frage mit einiger Sicherheit verneint werden zu
können. Denn, was wir im neunten Jahrhundert von Spuren
zines verhältnißmäßig kritischen Sinnes wahrgenommen haben, ist
aunmehr auf diesem verwüsteten Culturgebiete völlig verschwunden;
eine Wissenschaft, welche hätte zur Skepsis verführen können, eben
nicht vorhanden.
Gleicherweise nicht in Deutschland. Es ist wahr, die welt—
lichen Studien haben sich daselbst erhalten, seit dem fünften De—
rennium des Jahrhunderts einen neuen Aufschwung genommen;
Erzbischof Brun, Otto's des Großen geistvoller Bruder, wirkte
als Vorsteher der wiederhergestellten Hofschule zur Erweiterung
des Gesichtskreises und wurde dieserhalb verdächtigte). Aber wer
kann als Kenner der damaligen Zeitverhältnisse daraus Schlüsse
auf irgend welche Pflege einer aufklärerischen Denkweise ziehen? —
Das Sächsische Kaiserhaus, gut katholisch in allen seinen Gliedern,
konnte schon in Verfolg seiner Kirchenpolitik nicht anders als das
Dogma beschützen. Und wenn Widukind von Corveys) in Be—
reff der Wunder des heiligen Wenzel eine allerdings bemerkens—
werthe kritische Besonnenheit zeigt, wer wird wagen denselben
darum des Zweifels an dem Wunder überhaupt zu zeihen? —
II.
In Italien folgten sich rasch gewaltige Katastrophen, um
die Geschicke der Verwilderung zu vollenden. Man kann in
unserem Jahrhundert am allerwenigsten von einer italienischen