Full text: Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1. Band)

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Zweites Buch: II. 
chum, welches sich nach dem Namen des Gekreuzigten nannte. 
Freilich nicht in unbedingt exclusiver Weise — denn auch die 
daselbst angesiedelten Araber übten nicht nur ihren Cultus aus, 
sie hatten auch mehr als einmal ihre Raubzüge mit einer Sieges— 
feier gekrönt, welche in der Verhöhnung der christlichen Sacra— 
mentes) sich genug that; — gleichwohl blieb die Katholicität die 
offentliche Institution. Wer hätte das bezweifeln können, der sei 
es diese, sei es jene Stadt besuchte, hier wie dort die alten Kirchen, 
in denselben die hergebrachten Bräuche, den Clerus in der be— 
kannten Tracht die heiligen Officien wie die Handwerker ihre Ge— 
schäfte ausführen sah? — Ceremoniendienst und Mirakel waren 
die Elemente dessen, was man als Andacht sich vorstellte. Das 
paganische Ingredienz, welches dem Katholicismus beigemischt 
ist, durch keinerlei Kritik gereinigt, vielmehr je länger um so be— 
denklicher verdichtet, hatte den religibsen Kern mit einer schwer 
durchdringlichen Schale umhüllt. Der roh sinnliche Aberglaubes) 
färbte den ganzen Horizont des religiösen Gedankens; die Re— 
liquie ward dem Heilsgut gleichgeachtet. Und selbst unter den 
Beistlichen meinten manche den lebendigen Gott nur verehren zu 
können, wenn sie seine Stimme hörten, seine Glieder betasteten. 
Sie dachten Gott den Vater auf einem Throne sitzend von einem 
Hofstaat von Engeln in dem Himmelssaale umgeben, durch sein 
Wort, durch seinen Wink die Befehle ertheilend)). Eine wahn— 
witzige Vorstellung, ein religiöbser Materialismus, wie er nicht 
roher gedacht werden kann, urtheilt der das erzählende Zeit— 
zenosse?), welcher in seiner superklugen Art sich in rhetorischen 
Tiraden ergeht, um den Mitpriestern eine Vorlesung“) über die 
Geistigkeit Gottes, das Unaussprechliche seines Wesens, das 
Bildliche aller menschlichen Redeweise zu halten. Aber von einer 
Würdigung des ernsten religiösen Triebes, welcher selbst in der 
Verirrung noch erkennbar wird, verlautet nichts; ebensowenig ist 
anderswo diese Kritik fortgesetzt. Die Stelle gehört überhaupt 
zu den Ausnahmen in den Schriften des Ratherius von Verona.
	        
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