Full text: Natur und Gott

108 Bedeutung der Natur für die Keligion. 
oder theistischen Sinne, sondern nur den Prozeß des in jedem Augenblick sich 
der Flamme gleich verzehrenden und neu erzeugenden Geschehens. Von unabseh— 
baren Fernen her in unabsehbare Fernen hin schreitet der ewige Gang des Ent— 
stehens, Vergehens und Wiederentstehens. Doch hat der spätere Mahayana— 
Buddhismus eine Reihe von Buddhas zum Range wirklicher Gottheiten erhoben 
und alle Buddhas als Offenbarungsformen oder Emanationen eines einzigen, 
ewigen Urbuddha zusammengefaßt. Eine religiöse Kosmologie ist indes auch hier 
nicht enntwickelt. — 
Neben einer mehr oder minder dualistischen Auffassung treffen wir 
in den Upanishads nicht selten eine streng akosmistische, wie namentlich 
Deussen betont hat. Nur das Eine ist wahrhaft seiend, die Vielheit bloßer Schein, 
wie zuerst Vajnavalkya gelehrt hatiss), Die „Umwandlung“ des Atman zur viel⸗ 
heitlichen Welt der Erscheinungen ist demgemäß „bloßer Name“ und die ganze 
empirische Kenntnis der Dinge „niedere Wissenschaft“, ein Nichtwissen, ja posi⸗ 
tives Falschwissen, weil eine vielheitliche Welt vorgetäuscht wird, wo in Wirk— 
lichkeit nur Brahman ist. Für die spätern Upanishads ist auch diese Frage, ob 
Brahman das (nichtempirisch) Seiende oder das (empirisch) Nichtseiende ist, über— 
wunden; er ist auch über diesen Gegensatz erhaben, höher als „was ist und nicht 
ist“. Daß auch die spätere buddhistische Lehre, insbesondere das Prajnaparamita 
den akosmistischen Idealismus vertritt, hat Walleser gezeigt. Dort wird ausgeführt, 
daß die Dinge so existieren, daß sie nicht in Wahrheit existieren. Und da sie 
nicht existieren, nennt man sie Abidya d. i. das Nichtexistierende oder das Nicht⸗ 
wissen. Körperlichkeit, Empfindungen, Gestaltungen, Erkennen sind nur Cäu— 
schungisah. Ob bereits der ursprüngliche Buddhismus akosmistisch ist und in wel⸗ 
chem genaueren Sinne, ist zwischen Kennern, wie Oldenberg und O. Franke strit— 
tig und kann hier unentschieden bleiben. Sicher ist jedenfalls, daß von der Welt 
der Körperlichkeit, die erst durch die Sinne unsere Welt wird, nichts unser eigen 
ist, daß aber auch das Ich nur eine Scheingröße ist, noch wandelbarer als die 
Körper; sicher ist auch, daß dieses ganze Gewebe des Gestaltungstriebes durch 
den Erkenntnisakt des Subjekts für dieses vernichtet werden kann. 
Neben diesen spinnwebenfeinen Spekulationen behalten im indischen 
Volksleben die naturwüchsigen Göttergestalten ihren dauernden Platz. 
Das ewige und absolut blinde Riesenwesen Natur, wie es die spätere 
Samkhya⸗Philosophie darstellte, hat sich mit den Zügen des schrecklichen 
Sturmgottes Rudra verbunden, um den „indischsten der Götter“ zu schaf⸗ 
fen, der „alle Gluten und Schranken seines Heimatlandes in sich gesam— 
melt hat, alle Gewaltsamkeiten und Wildheiten“, den Vernichter Siwa, 
den Schädelbekränzten, Schlangenumwundenen, dessen Kinder die Leiden⸗ 
schaften, Sorgen und Krankheiten sind; aber zugleich ist er der unwider— 
stehlich Ciebliche, dessen Abzeichen das Zeugungsglied ist; so befaßt er 
die Kräfte der sich zerstörenden und grenzenlos sich neu gebärenden Na— 
tur in sich. Bald ist er Dionysos, Trunkenen gleich, gleich Wahnsin— 
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1838) Brih⸗-Up. 2, 4. 3, 1-4, 5. 
184) Vgl. Walleser, Ubersetzung des Prajnaparamita, auch Oldenberg, Bud— 
dha S. 273.
	        
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