130 Die Bedeutung der Natur für die Keligion.
brüchlich sind; ihm gegenüber erscheint der Mensch als Sünder?os) und
die Erlösung muß sich demgemäß die Aufgabe stellen, den Sünder zu
einem heiligen Gotleskinde umzugestalten.
Bei aller grundlegenden Verschiedenheit bietet zu diesen Gedanken
der Buddhismus eigenartige Parallelen. Nicht nur insofern er, wie ge⸗
zeigteno), mit der Weisheit des Erleuchteten sich alle Kräfte der Welt
zu wundersamer harmonie verbinden läßt, sondern vor allem auch in
ethischer Hinsicht bietet er eine merkwürdige Analogie zu den christlichen
Grundgedanken. Die Todverfallenheit des menschlichen Geschlechts (eine
uberall von den Völkern als rätselhaft empfundene Tatsache) hat schon
der tiefsinnige biblische Bericht auf eine Ungehorsamstat des Urvaters
zurückgeführt, der seiner Begierde folgtesui). Den selben Zusammenhang
zwischen Sünde und Todeue) und zwischen Sünde und Begierde'ts) hat
Paulus im Christentum zur Geltung gebracht. Das „Fleisch“‘“ des Men⸗
schen ist Träger seiner Begierden und zugleich der Dergänglichkeit ver—
fallen19). Den gleichen Gedanken vertritt aber auch, wenngleich in eigen⸗
artiger Prägung, der Buddhismus. Begehren ist des Menschen Natur.
„In Weltlust verweilt die Menschheit, in Weltlust ist sie heimisch, an
Weltlust freut sie sicheis).“ Die Welt aber ist unbeständig und bietet für
den Bestand der Lust keine Gewähr. Selbst der Vergänglichkeit unter—
worfen, trachtet der Mensch nach dem Vergänglichen und bereitet so sich
selbst nur Pein. „Lüstedurst“ ist notwendig „Vergänglichkeitsdurst.“
Das Heilmittel liegt in eben dieser Erkenntnis, daß dürstendes Begehren
zwangsläufig zur Enttäuschung, zu Ceiden und Tod führt. Es gilt nur
die Illusion, auf der Lust und Begehren ruhen, scharf zu erfassen und
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309) Pgl. oben s. 117f.
310) Vgl. oben s. 99. 123 f.
311) Gen. 3, 6. 22ff. Daß des Menschen Verfehlung gegen die göttliche Ord—
nung der Grund alles Elends und aller Zerrüttung, auch in der Natur sei, ist
Grundüberzeugung der Prophetie, die überall ausgesprochen wird (3. B. Jer.
s, 26), auch in den Stimmen der Völker vielfach zum Ausdruck kommt (vgl. 3. B.
oben s. 81 f). Die Abknormalität der menschlichen Sunde spricht schön das Wort aus
„Selbst der Storch unter dem himmel weiß seine (Flug⸗) Zeiten und Turteltaube,
schwalbe und Kranich halten die Zeit ihrer Rückkunft ein, aber mein Vvolk weiß
nichts von der Rechtsordnung Jahwes“ (Jer. 8,7; vgl. 18, 14 f.). Auch ein indi⸗
scher Spruch weist darauf hin, daß unter allen Wesen allein der Mensch die vom
Schöpfer gegebene CLebensordnung übe.tritt (Deussen J, 192 f.) Es lag nahe, diese
Anormalität, die doch eine allgemeine ist, mit der Anormalität des Todes zu
verknüpfen.
s12) Röm. 8, 12ff.; 6, 23. 313) Röm. 7,7 f.
314) 3. B. 1. Kor. 15, 50. Gal. 5, 16f. Eph. 2,2.
3165) Buddhas Reden 5. 38.