Full text: Natur und Gott

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Weltanschauung und Weltbild der Griechen. 141 
fließt, bildet das Mittelglied zwischen Gott und der kreatürlichen Welt. 
Als Baumaterial dieser Welt gilt die Hyle'), das absolut nNich— 
tige, der qualitäts- und gestaltlose Rest, das Substrat der bloßen Wahr— 
nehmung'a) und als solches dem Denken nicht zugänglich, sinn⸗ und wert⸗ 
fremd, zugleich aber Quell der unendlichen Vielheit; indem es wesent⸗ 
lich als Raume) gedacht wird, erscheint als Spezifikum alles Sinnlichen 
das Kontinuierliche. Dagegen Maß und Zahl, Ordnung und harmonie 
ist das Zeichen für die Gegenwart der Idee. Gestaltendes Prinzipo) und 
gestaltloser Stoff, das ist das Grundverhältnis, unter dem die Entstehung 
der Welt gedacht wird. Der Übergang, der im Mythos als Gestaltung 
des widerstrebenden Chaos zum Kosmos durch den Demiurgen darge⸗ 
stellt wird, darf nicht als Mischung von Sinnenstoff und Ideen gedacht 
werden, sondern nur als Mischung mit einem zeitlichen Abbild der Ideen. 
Die Ideen gleichen einem strahlenden Lichte, das in die Finsternis hin⸗ 
einleuchtet; das Material spiegelt, aber trübt zugleich den Schein; das 
Ticht selbst bleibt für immer unveränderlich. Nach dem Phädon zeich— 
nen sich die idealen Gestalten in den leeren Raum, die transzendenten 
Urbilder werden so immanent. Jedenfalls liegt die Initiative auf Seiten 
der Idee, die als aktives, gestaltendes Prinzip gedacht wird. Doch gilt 
das Baumaterial als conditio sine qua non, als dienendes Mittel. Die 
entstehende Mischung, die Genesis oder Natur, gilt als ein Gemachtes oder 
Gezeugtes; sie ist ein Mittleres zwischen dem reinen Nichts und dem 
eigentlichen, wahren Sein, ein Schattenbild der Ideeio). Die urbildliche 
Sschönheit übersteigt alle Realisierungsmöglichkeit auf Erden; ihr gegen— 
über ist das Material unzulänglich, spröde, verzerrend. Alle Gegen- 
sätzlichkeit der Sinnenwelt weist über sich hinaus auf das gegensatzlose 
Urbild; Sehnsucht und Bedürftigkeit kennzeichnen den Eros, in dem die 
Seele sich zur ewigen Schönheit erhebt, aber zugleich schließt dieses Cie— 
bessehnen Erzeugung und Geburt im Schönen, Einbildung des Unsterb— 
lichen ins Sterbliche ein. Letzten Endes ist das sinnliche Dasein dazu be— 
stimmt, ein Abbild des Cwigen zu werden, von dem Unsinnlichen durch— 
drungen, gestaltet, vergottet zu werden. Bei Plotin ist allerdings die 
Flucht aus der Sinnlichkeit als Mittel der Verähnlichung mit Gott stark 
) Vgl. Timaeus. 
?a) Die Wahrnehmung der Sinne gilt unter dem Einfluß der Theorie von 
Protagoras als durchaus unzuverlässig und trüglich. 
8) Die Annahme, daß dem Nichtseienden, d. h. dem leeren Raume, eine 
gewisse Cxistenz zukomme, wird schon Leukipp zugeschrieben. 
9) Das Begrenzende, Gestaltende erscheint schon den Pythagoräern als das 
Göttliche, welches das Grenzenlose (das Apeiron Anaximanders) an sich zieht. 
10) Phädon 99/100.
	        
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