Full text: Natur und Gott

Zur Einführung. 
1. das Problem und Kants Lösung. 
Religion und Naturwissenschaft in Harmonie miteinander zu brin⸗ 
gen, wird ein jeder wünschen, dem ein umfassendes und tiefes Bildungs- 
ideal vorschwebt. Auch wer nur energisches Handeln aufs Volksganze 
und durch dies auf die Menschheit anstrebt, kommt zur gleichen Ziel⸗ 
setzung. Denn um das Verhältnis zweier stärkster Mächte des Kultur— 
lebens zueinander handelt es sich. Die Naturwissenschaften haben durch 
ihre technische Anwendung eine neue Periode der Menschheitsentwick— 
lung geschaffen. 3. B. wäre der deutsche Aufschwung seit 1870/71 mit 
seinem Reichtum an Volk und an materiellen Gütern ohne die Voraus— 
setzung neuen, auf Erkenntnis aufgebauten Könnens unmöglich gewesen. 
Auf der andern Seite ist das Volk, das die Reformationszeit durchlebt hat 
und dessen katholisch gebliebener Teil in Gegenwehr gegen die Um— 
wälzung ebenfalls eine bedeutende geistige Kraft entwickelt hat, ohne 
tiefgehende religiöse PBeeinflussung auf der geistigen und moralischen 
Höhe, die es einnahm, jedenfalls nicht zu erhalten. Für die andern Völ— 
ker der Christenheit, ja für alle andern wird man grundsätzlich Ana⸗ 
loges zu sagen haben. Wer also in der Lage wäre, das erlösende Wort 
einer naturgemäßen Synthese auszusprechen, der würde nicht nur ein 
cheoretisch interessantes Problem aufklären, sondern unmittelbar in die 
Praxis hinüberwirken. 
Aber ist die so gestellte Aufgabe überhaupt lösbar? Denken wir 
uns jemand, der in der Weihnachts- oder Osterzeit mit Lektüre natur⸗ 
wissenschaftlicher Werke beschäfligt ist: Es umtönen ihn die Himmels— 
stimmen von dem göttlichen Friedensreich auf Erden und vom Siege 
des Lebens über den Tod, und fast gleichzeitig freutser sich der genialen 
Weise, wie der Mensch Maß, Gesetz und Symmetrie der Naturerschei— 
nungen aufspürt. Ohne Frage gibt es Menschen, die hier und dort hei— 
misch sind, und doch vermögen auch sie nicht leicht und bequem den 
UÜbergang von einer Welt zur andern zu finden. Mindestens scheint es 
so (und ist wohl auch nicht bloß Schein), als seien beide Sphären völlig 
inkommensurabel. Rationalisiert die Religion und ihr tötet sie, denn ohne 
Titius, Natur und Gott.
	        
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