Full text: Natur und Gott

164 Wissenschaftl. und relig. Naturanschauung in der Geschichte. 
daß die Zeitlichkeit der Schöpfung wie ihr Hervorgehen aus dem nNichts 
von der Vernunft nicht erfaßt werden könne, sondern ausschließlich 
Sache des Glaubens bleibe. 
Ein gewisses Zurücklenken zum Weltewigkeitsgedanken liegt insofern vor, 
als v'elfach eine einmalige und momentane Schöpfung, ein Hervortreten des ganzen 
Kosmos und seiner Geschöpfe als die Gottes würdigste Form des Schaffens ange⸗ 
nommen wurde. „Von den Geschöpfen ist keines ehzer als das andere geworden, 
sondern alle Arten sind zumal durch ein und dasselbe Befehlswort ins Dasein 
getreten“ (Athanasius). Nimmt man hinzu, daß gleichzeitig eine wenigstens ideale 
Ewigkeit der Schöpfung, ein Präeristieren derselben im Reiche der ewigen gött⸗ 
lichen Ideen, im göttlichen CLogos bestimmt behauptet wird, so handelt es sich also 
in der Schöpfung nicht um ein eigentliches Werden, sondern um die Umsetzung 
der präexistenten Weltidee in zeitliche, sinnliche Wirklichkeit. Demgemäß deutet 
Augustin die Schöpfungakte in Gen.1 als bloß potentielle, während er das 
Werden der Pflanzen, der Tiere und des Menschen erst in Gen. 2 dargestellt 
findet; in dieser rein spekulativen Annahme folgt er dem Philo, der es für ganz 
einfältig erklärt hatte, zu glauben, daß die Welt in sechs Tagen oder überhaupt 
in einer Zeit geworden seiss). Ist es bei Philo wie bei den christlichen Alexan— 
drinern und bei Augustin der platonische bzw. neuplatonische Einfluß, der sich 
in spekulativer Behandlung der Schöpfungslehre geltend macht, so zeigt sich die 
gleiche Kichtung in noch verstärktem Maße in den pseudodionnsischen Schriften. 
Aus der götllichen, überseienden Natur entstammt in absteigender Ableitung die 
gesamte Keihe der Wesen; alle Wesensemanation hat in der Entfaltung des gött⸗ 
lichen Urgrundes zu den trinitarischen Hypostasen ihr Urbild. Diese Grundge⸗ 
danken bilden das ganze Mittelalter hindurch eine starke Romponente der leiten⸗ 
den Gedanken und treten besonders kräftig bei dem Beginn der Renaissance her⸗ 
vor, wo sie durch erneute platonische Einflüsse noch verstärkt und ins Unkirch⸗ 
liche gewendet werden. 
Em stärksten tritt begreiflicher Weise das Residuum des antiken Pantheis- 
mus in kirchlicher Form da hervor, wo es sich nicht um die sichtbare, sondern um 
die unsichtbare, die himmelswelt handelt. Selbstverständliche) gelten auch die 
Engel als geschaffen; gern hat man diesen Vorgang auch in den mosaischen Be— 
richt eingetragen, insbesondere in die Schöpfung des Lichtes; der Scheidung von 
Cicht und Finsternis entsprach dann die Scheidung in gute und böse Engel. 
Auch in den oberhimmlischen Wassern (Gen. 1,3) hat man sie angedeutet ge⸗ 
funden; von Origenes bis zu Swingli hin haben sich dafür Stimmen erhoben. 
Jedenfalls ließ man mit seltenen Ausnahmenss) die Erschaffung der geistgen 
Wesen der Schöpfung der Erde und des sichtbaren Himmels vorangehen. Damit 
verband sich die uralte, auch von den Philosophen geteilte Annahme, daß das 
himmlische zugleich ein Unveränderliches und Unverderbliches sein müsse. Ver⸗ 
möge der Strahlen göttlicher Güte bestehen diese aus feinstem Licht- oder Feuer— 
stoff gebildeten Wesen, haben unwandelbares Ceben, rein von allem Verderben, 
frei von allem Sluß der Dinge; hingewendet zur göttlichen Gutheit haben sie 
s6) „Allegorien des Gesetzes“ 12. 
s7) Gnostisierende Anschauungen finden sich nur ganz vereinzelt, vgl. Friedr. 
Nitzsch Dgg. 341. 
es) Namentlich Theodoret. 
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