182 Wissenschaftl. u. relig. Naturanschauung i. d. Geschichte.
ten; auch die Erdbeben galten, wie die Blitze, dem A. T. gemäß als unmittel⸗
bare Wirkungen der göttlichen Hand.
Auch hinsichtlich der Tier- und Pflanzenwelt, die den Menschen täglich
umgibt und seiner Erfahrung in hohem Maße zugänglich ist, ist die Kenntnis,
aufs Ganze gesehen, nur gering. Selbst des Basilius neun Reden über das Sechs-
tagewerk, die die hohe Bewunderung der späteren Seit in vieler Hinsicht ver—
dienen, zeigen sein Wissen von Pflanzen und Tieren nicht gerade in günstigem
Cichte. Auch wenn man von dem vielerlei fehlerhaft ausgeführten Detail absieht,
erregt es doch Verwunderung, daß die schon von Aristoteles dargebotene Klassi—
fikation vielfach unbeachtet bleibt; z. B. werden Fische, Krustazeen, Reptilien,
kKobben, Wale und Weichtiere wild durcheinander geworfen. Auch finden wir
schon hier die allegorisch-moralische Betrachtung der Tiere und die Lust am Sabu—
lieren in hoher Blüte; in der Folgezeit schießt sie dann vollends ins Kraut. Die
angebliche keusche Witwentrauer der Turteltaube, die Parthenogenese des Geiers,
der listige und habsüchtige Krebs und zahlreiche andere Figuren begegnen immer
wieder und stets durch neue Fabelwesen vermehrt. Beachtet man, wie schon Bar—⸗
nabas den nie aus der Tiefe tauchenden Tintenfisch zum Bilde des (zum Höllen⸗
abgrunde verdammten) Gottlosen stempelt, die Hnäne jährlich ihre ehebrecherische
Natur wechseln, bald männlich, bald weiblich werden läßt, das Wiesel, das Bild
unsauberer Menschen, „durch den Mund trächtig werden“ läßtuss), so sieht man
vollends, wie ein breiter Strom antiken Folklores in die kirchliche Citeratur ein—
mündet; in der Eremiten- und Mönchsliteratur wird die Sabel mit Behagen
erzählt und vermehrt; die Grenzen gegenüber der wirklichen Tierwelt werden
immer unsicherer. Der Bilderkreis des Physiologus1s1), dessen Anfänge bis ins
2te Jahrhundert zurückreichen, ist im Werden.
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6. Volksglaube, Astrologie, Alchemie und Naturmnstik.
Das Mittelalter zeigt auf der einen Seite ein anscheinend hem⸗
mungsloses Sortwuchern aller jener primitiven volkstümlichen Anschau—
ungen, die, aus dem Zusammenströmen jüdischer und heidnischer Gedanken
über die Natur entstanden, auf dem Boden der christlichen Antike Hei—
matsrecht erhalten hatten. Andrerseits bietet es einen zwar sehr wirk—
lichkeitsfremden, aber in sich geschlossenen, imposanten Aufbau der
Theologie auf der Grundlage der aristotelischen Philosophie. Fassen wir
zunächst jene primitiven Elemente ins Auge, so muß allerdings fest—
gestellt werden, daß die übliche Abgrenzung der Epochen hier ein schiefes
Bild ergibt. Denn was den Zauber- und Hhexenwahn angeht, so macht be—
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136) Barn. c. 10; Basilius a. a. O.; Horn. 7-9.
187) Cauchert, Geschichte des P. 1889. Goldstaub, Die Entwicklung des latei—
nischen P. erhandlungen der Münchener Philologenversammlung) 1891. Peters,
D. griech. P. u. s. oriental. Abstggn. 1898. Strzygowski, Der Bilderkreis des
gr. P. usw. (heft 2 des Bnyzant. Archivs) 1899. Erheblich später will Kraus,
Gesch. d. chr. Kunst 1896 J s. 100 ff. den Physiologus ansetzen.