Full text: Natur und Gott

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4311 I. 
Volksglaube, Astrologie, Alchemie, Naturmystik. 185 
bare Scheu vor Eingriffen hängt ersichtlich mit uralten animistischen 
Anschauungen über den dauernden zZusammenhang der Seele mit dem 
Ceibe zusammen. Die Annahme, daß die Leiber der Heiligen sich vielfach 
unverwest erhalten und Wohlgeruch ausströmen, wie sie nicht selten in 
der heiligenlegende begegnet!s), weist auf den gleichen Zusammenhang. 
Am deutlichsten prägt er sich in der Annahme aus, daß im Menschen ein 
unwägbares, unzersetzliches, unverbrennbares Rnochengebilde, der zur 
körperlichen Auferstehung unentbehrliche Kern, vorhanden sei, den frei⸗ 
lich Vasalius nicht zu entdecken vermochte!o). Am leichtesten konnte man 
sich über diese Bedenken gegenüber hingerichteten Verbrechern hinweg⸗ 
setzen. Aber erst seit Kaiser Friedrich II. wurde die Erlaubnis zur Zer⸗ 
legung solcher Leichname hie und da gegeben. 
Ebenso erschwert wie das medizinische war das naturwissenschaft⸗ 
liche Studium. 1163 verbot Alexander III. in Verbindung mit dem Kon⸗ 
zil von Tours bei Strafe der Cxkommunikation allen Klerikern das Stu— 
dium der Phnysik. 1209 untersagte ein Pariser Konzil den Mönchen das 
Lesen physikalischer Schriften; weitere Verbote folgten. Es war die vom 
Islam herüberkommende naturphilosophische Welle, welche diese wie an⸗ 
dere Gegenmaßnahmen der Kirche hervorrief. Auf diese antikirchliche 
Provenienz der wissenschaftlichen Regungen wird die im Altertum nicht 
borhandene Neigung zurückgehn, Männer der Wissenschaft mit Zauberern 
und Magiern auf eine Stufe zu stellen, wie es Gerbert, dem spätern 
Papst Sylvester II., Albertus Magnus, Roger Bacon u. a. ergangen 
ist. Auch legten die neuen „Wissenschaften“, die von den Mauern her⸗ 
überkamen'sa), die Astrologie und die Alchemie, eine solche Beurteilung 
—V—— der Antike längst bekannt, hatte 
auch auf arabischem Boden sich an die Pflege der Astronomie ange— 
heftet, war aber hier zum Kange einer anerkannten Wissenschaft (wie 
einst in Babylon) emporgestiegen und erhielt in Südeuropa eine An⸗ 
zahl von Lehrstühlen. Wenngleich die Rirche von ihrer alten Verurtei— 
lung des astrologischen Fatalismus nicht lassen konnte, so zeigten sich 
doch Männer wie Albertus Magnus, Roger Baco, Kardinal d' Ailly, 
Melanchthon usw. bereit, zuzugestehen, daß die Hhimmelsbewegungen auf 
veränderungen der sublunaren Welt abzielen und auch die menschlichen 
148) „Das vornehmste Merkmal der heiligkeit ist (im Orient) das Aus— 
bleiben oder die Verzögerung des Verwesungsprozesses“ Bonwetsch REB 7 S. 559 
53l. 24 f.). 1483) Vgl. unten S. 208. 
1409) Vgl. White II 11 EAnm.) 44. Noch Joh. Bernoulli kam durch seine 
Feststellung, daß sich am menschlichen Körper eine Keihe beständiger Umwand— 
lungen vollziehe, mit diesem massiven Auferstehungsglauben in schwere Konflikte.
	        
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